Witten. . City-Umbau, ZOB oder Annenstraße sind Erfolge, Kornmarkt oder untere Bahnhofstraße bleiben unerledigt. Wir sprachen mit dem scheidenden Stadtbaurat.

Wittens Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke (48) wechselt zum 1. Oktober nach Bochum. In Witten war er neun Jahre Bau- und Planungsdezernent. Naturgemäß hinterlässt diese Arbeit Spuren im Stadtbild. Im Bilanz-Interview bat Lokalredakteur Johannes Kopps den scheidenden Baurat um einen Gedanken-Spaziergang durch Witten.

Am augenfälligsten ist die erneuerte City-Achse vom Hauptbahnhof mit dem Busbahnhof/ZOB durch die Stadtgalerie über den City-Bogen zum Berliner Platz mit den Wasserspielen und Café Extrablatt. Alles rundum gelungen?

Markus Bradtke: Ein guter Anfang würde ich sagen. Wir haben etwas für die Innenstadt erreicht. Aber sind wir fertig? Nein. Eine Stadt ist ja nie fertig.

Der nächste größere Schritt?

Der Kornmarkt ist sicherlich das prominenteste Projekt und in der westlichen, untereren Bahnhofstraße gibt’s viel Handlungsbedarf.

Diese kämpft mit massivem Leerstand. Was tut dort not?

In fast allen Städten verblasst die Leitfunktion des stationären Handels und Handelslagen insgesamt schrumpfen. Was man tun kann, ist das große Geheimnis. Womöglich muss man paradox intervenieren.

Paradox . . . ?

Mal etwas ganz anderes machen. Zum Beispiel aus der Fußgängerzone mal wieder eine Autozugänglichkeit machen. Vielleicht ergibt sich aber auch ein völlig unerwarteter Strukturwandel durch die Menschen, die da wohnen – Beispiel Wiesenviertel. Das kannte kein Mensch, als wir unser Handlungskonzept für die City aufsetzten. Jetzt schicken sich Leute im Breddeviertel und Hohenzollernviertel an, sich bürgerschaftlich zu engagieren. Diese Ströme müssen wir aufgreifen und die Stadt an diesen Stellen weiterentwickeln.

Soziale Stadt Annen ein „unglaubliches Erfolgsprojekt“

Ein Blick in die Stadtteile: Die „Soziale Stadt Annen“ . . .

. . . die ist für mich ein unglaubliches Erfolgsprojekt. Wir haben weit über fünf Millionen Euro an öffentlichen Mittel ausgeben können, in unterschiedlichsten Projekten: Bauprojekten, Sozialprojekten, Infrastrukturmaßnahmen.

Wird die „Soziale Stadt“ Heven-Ost/Crengeldanz ebenso viel bewegen?

Das kann man nur hoffen. Das Programm ist insgesamt größer. Wir gehen davon aus, dass wir dort mindestens ein öffentliches Investment von sieben bis zehn Millionen Euro in einem Planungshorizont von zehn Jahren verwirklichen können.

Nach Herbede: Der lang umkämpfte Supermarkt im Gerberviertel kommt. Muss einem nicht um die Meesmannstraße bange werden?

Wir haben eine lange Planungszeit, in der das Gerberviertel nicht entwickelt worden ist, und in der Meesmannstraße hat sich keine positive Entwicklung ergeben. Umgekehrt konnte man feststellen, dass immer mehr Kaufkraft aus Herbede abfließt. So war es letztlich der Handel selber, die Werbegemeinschaft, die uns aufgefordert hat, das Plankonzept zu verwirklichen, um die Frequenz in Herbede im Zentrum zu halten. Aber man muss sich da sicherlich seitens der Ladeneigentümer etwas einfallen lassen. Insgesamt halte ich das nach wie vor für das richtige Konzept. Und gemeinsam mit der öffentlichen Hand wird man die Meesmannstraße am Leben erhalten können.

Das Ziel für die alte Durchholzer Schule bleibt Bauland

Die Durchholzer Grundschule wurde Ende 2008 abgerissen. Für viele Durchholzer bleibt das eine offene Wunde. Das Bauland, das die Stadt daraus machen wollte, ist bis heute nicht am Markt. War das Ganze nicht ein schwerer Fehler?

Für die Schule waren nicht mehr ausreichend Schüler da. Die schulpolitische Entscheidung ist mit Mehrheit umgesetzt worden, obwohl ich die Widerstände gut in Erinnerung habe. Die Baulandentwicklung hat sich verzögert. Die evangelische Kirchengemeinde hat sich aus der Planung zurückgezogen. Jetzt besteht die Möglichkeit, einen weiteren Privateigentümer einzubeziehen. Wir werden die Planung nun nochmals überprüfen. Grundsätzlich ist das Ziel immer noch dasselbe: Bauland schaffen.

Ihr Wunsch für Witten oder die Wittener zu Ihrem Abschied?

Ich würde mir schon sehr wünschen, dass Rat und Verwaltung wieder zu einer Einheit kommen, egal, wie jetzt die Bürgermeisterwahl ausgeht. Das habe ich in den letzten zwei, drei Jahren doch zunehmend vermisst. Und das lähmt diese Stadt.

Warum bestanden Sie bis zuletzt auf Einschränkungen für das, was auf dem alten Wickmanngelände erlaubt ist, auch wenn die Stadt vor Gericht den Kürzeren gezogen hat?

Bradtke: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das Gelände aufgrund seiner schieren Größe eine so übermächtige Funktion bekommt, wenn man dort den Einzelhandel ungesteuert zulässt, dass das negative Auswirkungen für andere Zentren vermuten lässt, insbesondere für die Innenstadt. Umgekehrt gibt es in Annen selbst keine Unterversorgung. Das Urteil halte ich in vielerlei Hinsicht für fragwürdig. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass man hier über Beschränkungen nachdenken muss, und dass es es auch wert ist, das Urteil im Wege der Berufung überprüfen zu lassen.

„Immer richtig, Bestandsunternehmen den roten Teppich auszurollen“

Die Halde in Annen: War es richtig, der Firma Draco den roten Teppich auszurollen für die Erweiterung dort, auch wenn sie ihn dann nicht betreten hat?

Es ist grundsätzlich immer richtig, Bestandsunternehmen in Witten den roten Teppich auszurollen. Wir haben im Leitbild „Witten 2020“ festgelegt, gemeinsam durch breit getragenen Ratsbeschluss, dass wir für die mittelständische Produktivwirtschaft da sein wollen. Wenn wir das ernst nehmen, müssen wir Standorte entwickeln. Dieser Standort auf der gegenüberliegenden Straßenseite erschien uns prädestiniert, wir reden von einer ehemaligen Zechenbrache. Ich halte das für richtig und bedaure sehr, dass sich im Verlauf des Planungsprozesses herrausgestellt hat, dass das Grundstück zu klein ist für Draco. Ich kann nur hoffen, dass die Firma möglichst in Witten einen guten Alternativ­standort findet.

Wie hoch ist der Bedarf nach interkommunalen Gewerbeflächen?

Der Bedarf ist rechnerisch nachgewiesen – 35 ha kurz- und mittelfristig. Tatsächlich wandern Firmen ab, denen wir keine Standorte anbieten können. Deshalb haben wir uns mit anderen Kreis-Kommunen über eine gemeinsame Standortpolitik ausgetauscht. Wir haben dem Rat vorgeschlagen, sich vorrangig mit anderen Städten auszutauschen, namentlich mit Bochum über Opel. Sofern man andere Standorte, Brachen entwickeln kann, wäre das vorrangig. Sind die aber nicht verfügbar, dann muss Witten sich alternative Handlungsoptionen erhalten oder das Leitbild ändern.