Witten. . Wenn Kultur die Menschen dort abholen will, wo sie stehen, dann sollte sie in Annen zum Kioskfenster der Familie Babinski kommen. Und das tut sie immer einmal pro Jahr.

Wenn etwas im Ruhrgebiet Kultstatus haben sollte, dann ist es doch die Trinkhalle: Ein Mittelpunkt des Viertels, die Anlaufstelle für die Besorgungen zwischendurch, der Ort, an dem die kleinen und großen Geschichten des Lebens – oder zumindest nachbarschaftliche Grüße – ausgetauscht werden. So zumindest wünschen es sich Schauspielerin Beate Albrecht und die Familie Babinski für den Kiosk an der Annenstraße 1. Das Viertel an der Kreuzung zur Ardeystraße sei lange als „Schmuddelecke“ verschrien gewesen. Die Anwohner setzen mit Talent und Kreativität dagegen und zeigen „Einsatz für Kultur“ – direkt an der Trinkhalle.

Zum vierten Mal bereits findet der Kulturabend am nächsten Dienstag, 28. Juli, auf dem Bürgersteig statt. Geladene Künstler und Anwohner sollen dort beim bunten Nachbarschaftsfest zeigen, was in ihnen steckt: Jeder darf spontan zum Mikrofon greifen, sein Instrument mitbringen oder seine Wünsche für das Viertel mit Kreide auf die Straße schreiben.

Denn Veränderungswünsche für das Viertel gäbe es viele. Während das Projekt „Soziale Stadt Annen“ vor allem den Kernbereich des Stadtteils rund um den Bahnhof erfasst habe, sei für den zur Innenstadt hin liegenden Teil der Annenstraße kaum etwas getan worden: „Ich sage immer: Die ,soziale Stadt Annen’ endet an der Holzkampstraße. Danach fängt die asoziale Stadt Annen an“, scherzt Albrecht.

Dabei seien in diesem Bereich viele Kreative anzutreffen, die man nur ansprechen müsse, um etwas zu bewegen. Der „Einsatz für Kultur“-Abend will ihnen eine Plattform geben und das Miteinander fördern. Es soll aber auch die Möglichkeit der Kulturschaffenden sein, die Zuschauer eben dort abzuholen, wo sie ohnehin ständen: am Kioskfenster der Babinskis.

Ursprünglich stammt die Idee zum Kiosk-Auftritt von dem Klarinettenquartett „Die Verwechslung“, das sie bereits zum Kulturhauptstadtjahr 2010 entwickelt hatte. Auf ihren Trinkhallen-Touren reisen die Jazz-Musiker seitdem durchs Ruhrgebiet und verblüffen mit modern-schrägen Improvisationen auf engem Raum zwischen Theken und Zeitungsregalen. Durch den Kontakt zu Beate Albrecht kommen sie nun jährlich als fester Programmpunkt an die Annenstraße. „Viele Leute, die zuhören, würden bestimmt nie ein Konzert von ihnen besuchen“, meinen Albrecht und Mariola Babinski. „Aber durch die verrückten Klänge lassen sich doch immer viele inspirieren, die sich dann auch ans Mikro trauen.“

Die Bassklarinettisten, die am Dienstag von einem Tänzer begleitet werden, machen ab 18 Uhr den Auftakt. Zugesagt haben auch Anwohner: vom Gitarrendou über polnischen Gesang bis hin zu Comedy-Einlagen. Dazu gibt es Krakauer, Kuchen und „Slush Ice“ am Kiosk. Und nach den Auftritten soll noch lange nicht Schluss sein.