Witten. . Friedrich von Preußen ließ die Herbeder Ruhrschleuse und das „Königliche Schleusenwärterhäuschen“ erbauen. Deren Geschichte wird zurzeit näher erforscht.

Frau Müller-Kissing kennt man bei der Arbeitsloseninitiative Wabe nur unter ihrem Vornamen. „Die Milena sitzt da hinten“, heißt es. Oder sie strolcht im Stadt- oder Landesarchiv herum: Denn die 31-Jährige erforscht die Geschichte des Schleusenwärterhäuschens.

Als das Fachwerkhaus mit den grünen Fensterläden auf der Hevener Ruhrseite im Januar abbrannte, wurde es schlagartig über Witten hinaus bekannt. Von 2005 bis 2014 sanierte es die Wabe. Der Biergarten gegenüber der Ruine Hardenstein entwickelte sich zu einem beliebten Ausflugsziel. Schon vorab war das Haus eng mit der Geschichte der Stadt und ihren Menschen verbunden. Und es brachte Glamour in die Provinz: Das „Königliche Schleusenwärterhäuschen“ ließ Friedrich II. von Preußen erbauen.

Anfangszeit ist unbekannt

Diese Fakten eignen sich gut für Hinweisschilder oder Prospekte, darum schickte Wabe-Chef Thomas Strauch Milena Müller-Kissing auf Spurensuche. Sie hat Ur- und Frühgeschichte studiert und schreibt an der Ruhr-Uni Bochum zurzeit an ihrer Doktorarbeit über die spanische Bronzezeit. Als Hilfskraft übernimmt sie bei der Wabe grafische Arbeiten, etwa Fotobearbeitung. „Ich mache ja auch die Homepage von Blau-Weiß Annen“, sagt Müller-Kissing. Susanne Fuchs, die sich im Sportverein und bei der Wabe engagiert, holte die Übungsleiterin fürs Geräteturnen einst zur Wabe.

Was gibt es beim Schleusenwärterhaus noch zu entdecken? „Vieles aus der Anfangszeit ist unbekannt“, so Müller-Kissing. Die Herbeder Schleuse gab es schon im 18. Jahrhundert. Wo wohnten in dieser Zeit die Schleusenwärter? Das Wohnhaus wurde 1835 erbaut. Bekannt sind aber nur die Namen späterer Bewohner. Diese fand die Historikerin in Listen des Schifffahrtsamtes, die heute im Landesarchiv Duisburg liegen. „Handschriftlich in Sütterlin, die man nur am Mikrofiche-Gerät lesen kann“, verdreht Milena Müller-Kissing die Augen. Fest steht: Alle Schleusenwärter kamen aus Witten. „Wenn jemand weiß, mein Ur-Ur-Ur-Opa war Schleusenwärter, soll er sich bei mir melden!“

Flutwelle nach Möhne-Katastrophe

Was waren die Aufgaben eines Schleusenwärters, nachdem die Ruhrschifffahrt 1890 nahezu eingestellt war? Die Wasserstände durchgeben, außerdem betrieb man dort einen Fährkahn, wo auch heute die „Hardenstein“ pendelt. Manchmal fuhr die Schifffahrtsverwaltung die Strecke ab – dann musste die Schleuse funktionieren.

Hochwasser gab es früher übrigens häufiger. Stark zerstört wurde das Haus in den 20er Jahren und durch die Sprengung der Möhne-Talsperre, 1943. So kaputt wie nach dem Brand im Januar 2015 war es da jedoch nicht: Dass dessen Ursache Brandstiftung war, steht fest. „Aber dieses Feuer steht nicht in Zusammenhang mit den anderen Wittener Fällen“, so Polizeisprecher Volker Schütte. Wer’s war, muss weiter erforscht werden.

Die Geschichte der Herbeder Ruhrschleuse

Im 18. Jahrhundert waren Wasserstraßen die einzigen Transportwege für Kohle, doch die Ruhr war ein schwieriger Fluss. Neben stark schwankenden Wasserständen war ihr Unterlauf durch Wehre gesperrt, da mit der Wasserkraft Mühlen betrieben wurden. Diese Hindernisse umging man durch Schleusen.

Seit den 1770er Jahren wurden trotz hoher Kosten zwischen Herdecke und Mülheim 16 Schleusen gebaut. Die Herbeder Schleuse wurde 1776 bis 1778 auf Veranlassung von König Friedrich II. errichtet. Durch Förderung des Bergbaus im Ruhrgebiet, versuchte die Berliner Regierung die Folgen des Siebenjährigen Krieges (1756-63) zu lindern. 1828 bewältigte die Herbeder Schleuse bereits 157 Schiffe. Allerdings war die hölzerne Schleuse ständig Beschädigungen durch Hochwasser und Eis ausgesetzt.

Nach dem Bau der Eisenbahnstrecke im Ruhrtal erlebte die Schifffahrt einen rapiden Niedergang: Während 1886 noch 110 Schiffe Steinkohle von Witten nach Ruhrort transportierten, passierte 1888 nur ein Schiff die Herbeder Schleuse. 1890 wurde der Verkehr eingestellt, die Schleuse verfiel.

Das Königliche Schleusenwärterhaus wurde 1835 errichtet. Die Bauform hatte die preußische Oberbaudeputation entwickelt. Das Haus war die Heimstatt zahlreicher Schleusenwärter. Einer von ihnen war Friedrich Wilhelm Striepen, der die Herbeder Schleuse in den 1820er Jahren bediente. Weitere Bewohner waren Heinrich Arnold Witte, Schleusenwärter zwischen 1865 und 1874, sowie Georg Haarmann (1874 bis 1887). Familie Rosendahl bewohnte das Schleusenwärterhaus von 1887 bis 2005 über mehrere Generationen.

Gerd und August Rosendahl waren es auch, die die verheerende Flutwelle aufgrund der Möhneseekatastrophe 1943 miterlebten: Von sieben Gebäuden blieb nur das Schleusenwärterhaus stehen. August Rosendahl rettete sich und seine Nachbarn, indem er seinen Kahn an einen Baum band und darin ausharrte, bis das Hochwasser nachgelassen hatte.