Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Er machte Millionen heimatlos. Aloys Manthey und Norbert Buchmann fanden in Witten ihr neues Zuhause.
Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Dieser und seine Folgen haben von 1944 bis 1950 zwischen 12 und 14 Millionen Deutsche, beziehungsweise deutschstämmige Bürger anderer Staaten, zu Heimatlosen gemacht – durch Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung. Menschen, die in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches lebten oder außerhalb der Reichsgrenzen im östlichen und südöstlichen Europa oft schon seit Generationen siedelten. Menschen wie Aloys Manthey (78), Norbert Buchmann (74) und Hildegard E. (88) – die schließlich in Witten ihr zweites Zuhause fanden.
Hildegard E. stammt aus Angerlinde, einer Gemeinde im Kreis Insterburg, Ostpreußen. Im Februar 1945 wurde sie als 18-Jährige von Soldaten der Roten Armee verhaftet. Wenige Tage später sollte sie als Deportierte mit rund 2800 anderen Menschen in einem Güterzug auf eine lange Reise in Richtung Ural gehen. „Bald hielt der Tod Einzug unter den Gefangenen. Ab und zu öffneten die Bewacher die Türen und holten die Toten heraus, nachdem wir lange darum gebettelt hatten“, berichtet die 88-Jährige.
„Ich habe mit alldem schon lange meinen Frieden geschlossen“
Das Reiseziel war das Dorf Lebezwezka und dann ein drei Kilometer entferntes Lager am Rande der mächtigen Uralwälder. „Die Hauptarbeit der Gefangenen war der Holzeinschlag. Auch zu einer weit abgelegenen Kolchose – Hin- und Rückweg 17 Kilometer über Berg und Tal – wurden im Sommer bei brütender Hitze Arbeitskräfte geschickt.“ Hildegard E. wurde krank, litt an Herzattacken und Hepatitis. Anfang November 1945 wurde die Ostpreußin aus dem Lager entlassen, am Monatsende in Frankfurt/Oder in die Freiheit. „Zerlumpt, 44 Kilogramm schwer, von Läusen und Ausschlag befallen, nahm mich ein paar Tage später mein Onkel im zerbombten Berlin auf.“
BDV lädt am Samstag zur Gedenkstunde ein
Der Bund der Vertriebenen lädt am Samstag, 9. Mai, zu einer Gedenkstunde mit Kranzniederlegung und anschließender besinnlicher Runde mit Kaffee und Kuchen nach Heven ein. Der Anlass: Flucht und Vertreibung 1945 jähren sich zum 70. Mal.
Die Gedenkstunde beginnt um 14.30 Uhr am Gedenkstein an der Kreuzung Hellweg/Universitätsstraße 6. Ab 15 Uhr treffen sich die Teilnehmer im Vereinssaal des TuS Heven „Zur 3. Halbzeit“ am Haldenweg 2.
Der Gedenkstein wurde vor 20 Jahren errichtet. Seine Bronzetafel zeigt eine Familie in einem Treck auf der Flucht. Der Stein soll Denkmal, Ehrenmal und Mahnmal sein.
Norbert Buchmann stammt aus der schlesischen Kreissstadt Frankenstein. Sechs Jahre alt war er, als er im August 1946 zusammen mit seiner Mutter die Heimat zwangsweise verlassen musste, weil diese nun die neue Heimat polnischer Familien werden sollte. Mit einem Zug sind sie gen Westen gefahren, „vor allem Alte, Frauen, Kinder. Nach acht Tagen kamen wir in Witten an“, sagt der 74-Jährige. Sein Vater konnte ihn nicht in sein neues Leben begleiten. „Er galt als im Krieg verschollen.“ Erst 2003 erhielt Norbert Buchmann die Nachricht, dass die Gebeine des Vaters in einem Massengrab südlich von Danzig entdeckt worden waren.
Der Diplom-Ingenieur ist stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Witten. Der Schlesier betont, dass er nicht zu den ewig Gestrigen gehöre. „Ich habe mit alldem schon lange meinen Frieden geschlossen.“ 1974 hat er erstmals eine Reise in die alte Heimat unternommen. Und gibt zu: „Ich hatte Angst, mich dort als Deutscher zu erkennen zu geben.“ Diese war unbegründet. „Denn ich hatte viele freundschaftliche Begegnungen mit Polen. Einige gaben mir zu verstehen, dass sie selbst ihre Heimat aufgaben und als Umsiedler nach Schlesien kamen.“
Auch Aloys Manthey hat seinen Frieden damit gemacht, dass ihn der Krieg und seine Folgen nach Westdeutschland, schließlich nach Witten verschlugen. Der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen Witten kam im pommerschen Dorf Arnsfelde (Kreis Deutsch Krone) zur Welt, als Sohn eines Bauern. Manthey hatte sechs Brüder und eine Schwester. „Der älteste Bruder ist an der Ostfront im Krieg verschollen.“ Als Achtjähriger, im November 1945, verlor Manthey seinen Vater. „Er wurde von polnischen Soldaten in Zivil erschossen, die es auf seinen Wagen und seine Pferde abgesehen hatten.“ 1947 kam die Familie unter abenteuerlichen Umständen über Schlesien nach Sachsen, Ende 1948 in ein Dorf im damaligen Bezirk Osnabrück. „Im Juli 1953 trafen wir dann in Witten ein. Meine Schwester hatte sich nach Herne verheiratet“, erzählt der 78-Jährige.
Manthey machte eine Schlosserlehre bei den Edelstahlwerken, dann seinen Meister und sich später als Reiseunternehmer in der Stadt selbstständig. Seine Spezialität: Fahrten nach Polen, Russland, ins Baltikum. Er sagt: „Witten ist mein Wohnort, Arnsfelde meine Heimat. Die bleibt eben im Herzen.“