Witten. . Das Nordoff/Robbins-Zentrum für Musiktherapie in Witten finanziert sich allein aus Spenden. 100 Patienten werden hier pro Woche behandelt.
Das Haus der lauten Töne tönt nach außen eher leise und bescheiden: Seit zehn Jahren gibt es in Witten das Nordoff/Robins Zentrum für Musiktherapie für behinderte Kinder und seelisch erkrankte Erwachsene. Deutschlandweit gibt es nur wenige solcher ambulanten Einrichtungen. 100 Patienten singen oder schreien hier wöchentlich gegen ihren Kummer an. Und diese Arbeit wird allein finanziert durch Spenden.
Das Institut sitzt in der schönen „Villa Albert Lohmann“ an der Ruhrstraße 70. Hier lebte auch Arthur Imhausen, der Mann, der in Witten die Margarine erfand. Und in diesem hohen, mit Stuck verzierten Raum arbeitete einst Konrad Schily für die Universität. Was für ein Ort für Kreativität!
Britta Boymanns, die 1985 im ersten Musiktherapie-Jahrgang an der Wittener Uni ausgebildet wurde, setzt sich an den schwarzglänzenden Flügel. „Singen kann jeder, aber hier geht es ums Hören“, sagt sie. Und weiter: „Geben Sie mir bitte ein Laaaaaaa.“ La? Boymanns schlägt dazu die Töne an, und während die Verfasserin dieser Zeilen ein schüchternes Lalala summt, fühlt sich ihre Stimme raumgreifend getragen von der Musik. Klingt gut!
Promis zu Besuch in der Ruhrstraße
Viele bekannte Musiker interessieren sich für die Wittener Musiktherapie – und kommen an die Ruhrstraße. Zu Gast waren bereits die Scorpions oder Hartmut Engler von Pur, der hier zu einem Lied über ein autistisches Kind inspiriert wurde.
Rolf Zuckowski schrieb in Witten „Du kannst nicht singen“. Viele Patienten sind große Fans des Liedermachers. Regelmäßig leitet das Institut Fanpost weiter.
Dieses Erfolgserlebnis zu bewirken, ist ein Geheimnis der Arbeit der fünf Musiktherapeuten. Die „schöpferische Therapie“ entwickelten 1959 der US-Komponist Paul Nordoff und der englischen Sonderpädagoge Clive Robbins: Musik überwindet die Grenzen, die Behinderungen oder Krankheiten auferlegen – weil sie die Kreativität anspricht und an Fähigkeiten anknüpft, die in jedem Menschen innewohnen. Einjeder schafft Töne oder Klänge. Wenn ein Profi diese geschickt aufgreift und begleitet, kann etwas entstehen.
Ein Beispiel ist Lena. Die Viereinhalbjährige kam als Frühchen auf die Welt, ist nun körperlich und geistig entwicklungsverzögert. Ein Autismus wird vermutet – zumal Lena noch immer nicht sprechen kann und sich sozial isoliert. In der ersten Stunde trommelt sie ein bisschen, will die Stöcke schnell wieder der Mutter geben. Nach neun Wochen sitzt sie neben ihrem Therapeuten Lutz Neugebauer am Klavier, tippt auf die Tasten und ergänzt singend seine Liedzeilen. Es wirkt, als hätte jemand Lena wach gerüttelt. „Ich habe oft das Gefühl, Musik bewirkt, dass sich im Hirn etwas verbindet“, sagt Boymanns.
Bei Lutz Neugebauer oder Britta Boymanns wird wenig gesprochen. Gerade ältere Patienten mögen es nicht, zum x-ten Mal ihre Krankheitsgeschichte zu wiederholen. Zwischen 2 und 72 Jahren sind ihre Patienten alt. Zehn Therapiestunden erhalten sie, in der Villa Albert Lohmann oder in den Einrichtungen für behinderte Menschen, etwa im Christopherushof oder bei der Lebenshilfe. Dieser „Anschub“, wie es Boymanns nennt, ist für die Patienten kostenlos. Der Andrang ist groß – ein Vierteljahr muss man auf einen Therapieplatz warten.
Bis heute wird die Musiktherapie nicht von den Krankenkassen übernommen. Das Nordoff/Robbins-Zentrum finanziert sich aus Spenden. Die ersten fünf Jahre lebte es von einer Anschubfinanzierung der Aktion Mensch und der Stiftung Wohlfahrtspflege des Landes. Seitdem investiert Neugebauer viel Zeit damit, Spenden einzutreiben. Einen Teil trug lange die Musikindustrie – über die „Echo“-Gala. Mit der Branchenkrise werden diese Spenden weniger. Auch der Rotary-Club Witten-Hohenstein veranstaltet seine Oldtimer-Rallye für die Kindertherapie – die nächste folgt am 31. Mai. Mitunter zahlen die Eltern erfolgreich therapierter Kinder eine Patenschaft. Mit Ablehnungen zu leben, sei aber längst Alltag.