Witten. . Menschen mit und ohne Behinderung brauchen keine unterschiedliche Begleitung im Umgang mit dem Tod. Im Gegenteil: Sie lernen voneinander.
Es war nicht nur die erste Fachtagung zum Thema Inklusion und Trauerarbeit in Witten, sondern in ganz Deutschland. Die Idee dazu geht auf Annette Wagners Konto. Die 54-jährige Diakonin leitet das Kindertrauerzentrum „traurig-mutig-stark, das es seit 2012 in der Ruhrstadt gibt. Im Gespräch erklärt sie, warum ihr die gemeinsame Trauerarbeit mit Menschen mit und ohne Behinderung so am Herzen liegt und welche Erfahrungen sie schon damit gemacht hat.
Dass die Tagung ausgerechnet an einem Freitag, dem 13. stattfand, war Zufall?
Annette Wagner: Absolut. Das hatte gar keine Bedeutung. Schon gar keine negative. Man denkt immer, Trauerarbeit hat nur was mit Weinen zu tun, doch Trauer und Humor passen gut zusammen.
Trauerzentrum würde sich gern vergrößern
Seit 2002 beschäftigt sich Annette Wagner mit Kindertrauerarbeit. Seit 2012 leitet sie das Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit „traurig-mutig-stark“ an der Lutherstraße. Der Bedarf ist hoch: „Wir platzen dort aus allen Nähten“, sagt die Diakonin.
Gern würde sich das Zentrum vergrößern, ein Bastel- und ein Matschraum fehlen. Tatsächlich könnte die Kreuzgemeinde diese Räume zur Verfügung stellen. „Aber uns fehlt das Geld für die Miete.“ Spenden sind also dringend erwünscht, 98 26 226.
Warum ist Ihnen das Thema Inklusion und Trauerarbeit so wichtig?
Ich habe im Trauerzentrum immer wieder Kinder mit Behinderungen, zum Beispiel aus Förderschulen. Und davon haben alle immer profitiert. Die brauchen dafür keine Extra-Einrichtungen.
Das heißt, Sie leben Inklusion schon bei Ihrer Trauerarbeit. Trauern Menschen mit Behinderungen denn anders?
Sie haben andere Äußerungsmöglichkeiten, auf die ich mich einlassen muss. Ich hatte zum Beispiel ein Mädchen, das nicht hören konnte. Bei ihr läuft natürlich viel über Mimik und Gestik. Deshalb müssen wir sie genau angucken. Und sie kann sich schriftlich sehr gut ausdrücken. Im Prinzip sind wir doch in einer Trauersituation alle behindert. Wir sind alle traurig und drücken das auf unterschiedliche Weise aus. Und darauf muss man sich einlassen. Man muss Menschen mit Handicap nicht „verwohltätigen“.
Das hat einer Ihrer Referenten, der Pfarrer, Kabarettist und mehrfache Paralympics-Goldmedaillengewinner Rainer Schmidt gesagt.
Ja, er ist ein großartiger Redner. Er hat immer wieder deutlich gemacht, dass wir Menschen wie ihm nichts Gutes tun müssen. Wir müssen ihnen kein Brötchen schmieren, wenn es reicht, das Brötchen aufzuschneiden, weil sie den Rest selbst hinkriegen. Man muss nur abwarten, was der Betreffende signalisiert.
Sie haben in einem Fachbuch über die Trauerarbeit mit Kindern in Behinderteneinrichtungen geschrieben. Was hat sich dort geändert?
Wenn dort früher ein Kind gestorben ist, dann war das für die anderen einfach weg. Man hat ihnen nichts gesagt, weil man dachte, sie können das nicht ertragen. Heute zelebriert man das. So wird den verstorbenen Kindern ein Zeichen gesetzt, durch eine Stele oder eine Tafel. Er werden Räume geschaffen, in denen sich die anderen Kinder von ihnen verabschieden können. Wir müssen die Menschen einfach in ihrer Trauer ernst nehmen – alle.
Rund 140 Teilnehmer waren bei der Veranstaltung, sie kamen aus Köln und Münster, aus Bielefeld oder von der holländischen Grenze. Das Thema hat einen Nerv getroffen?
Auf jeden Fall. Und direkt am Anfang ist eine große integrative Band aus dem Essener Franz Sales Haus aufgetreten. Die Fröhlichkeit und Freundlichkeit, die sie ausstrahlten, haben uns den ganzen Tag begleitet. Dieser „Reichtum der Unterschiedlichkeit“, so lautete ja der Titel der Tagung, kam da schon rüber. Und zum Schluss sind alle fröhlich rausgegangen. Wie gesagt: Trauer und Humor passen gut zusammen. Und noch ein Beispiel für den Umgang mit Trauer: Ein autistisches Kind hat mal zu mir gesagt: Weißt du was, ich bin morgen traurig, jetzt möchte ich mit dir malen.