Witten. . Die Geschichte von einem Wittener Esel, der mit der S-Bahn fuhr, alljährlich in der Kirche arbeitet und am Kohlensiepen ein schönes Leben führt.
„Mooooooritz“, brüllt Waldemar Wegmann, rüttelt mit dem Futtereimer, rudert mit den Armen. Und hinten auf der Koppel wackelt der Zwergesel träge mit dem Ohr. Latschen wir halt hin, zu dem Vieh! „Ich schalte Ihnen besser den Strom vom Elektrozaun ab, sonst kitzelt das bei Ihnen untenrum“, sagt Herr Wegmann. Das fängt ja gut an, aber wir sind ja auch zu Besuch bei einem ganz besonderen Esel.
An Palmsonntag trottet Moritz durch die Kirche
Die Franziskanerbrüder Markus Steinberger und Klaus Albers schwärmen von Esel Moritz, der alljährlich am Palmsonntag durch die Dortmunder Franziskuskirche trottet – mit einem als Josef verkleideten Kind auf dem Rücken. Wer reiten darf, ist heiß begehrt. Die Rolle des Josefs wird unter den Kommunionkindern ausgelost.
„Der Esel ist immer der große Hingucker“, sagt Bruder Klaus. „Vor allem kennt er genau den Weg. Er bremst immer an der Stelle, wo er mal ausgerutscht ist.“ 2013 übernahm ein Sohn von Esel Moritz. Der düste aber stracks durch den Mittelgang. Und Moritz, erinnert sich Bruder Markus, hatte doch 2012 sogar kräftig vor den Altar geäpfelt...
Moritz könnte tolle Geschichten erzählen: Etwa, wie er vor 25 Jahren im ostwestfälischen Kaunitz auf einem Trödelmarkt herumstand, Waldemar Wegmann ihn dort entdeckte und nicht zurückzulassen mochte. Moritz hatte sogar noch Milchzähne! Der Forstwirt kaufte das Tier für 800 D-Mark. Nur wie bekommt man einen Esel von Ostwestfalen nach Witten? „Mit der Bahn“, sagt Wegmann. „Erst wollten die uns nicht mitnehmen. Aber einen Hund schon?“ Im Fahrradwagen wurde es Mann und Tier doch erlaubt. „In Dortmund mussten wir umsteigen, in die S-Bahn nach Annen. Das ging treppauf, treppab, aber Moritz macht das mit.“ Vom S-Bahnhof Annen bis zu seiner neuen Heimat am Kohlensiepen tippelten sie zu Fuß.
Schön abgesaugt in die Kirche
An Weihnachten hat Moritz keinen Krippendienst. Aber in die Dortmunder Kirche St. Franziskus fährt Moritz jedes Jahr an Ostern für den „Palmsonntagsritt“. „Vorher wird Moritz’ Fell schön mit dem Staubsauger abgesaugt. Tipptopp sauber. Dann bekommt er ein Kopfgeschirr um. In Rot, das schwarze durfte ich für die Katholiken nicht nehmen“, brummt Wegmann. Vorn im Klostergarten geht’s dann los, einmal durch die Kirche, am Altar abbiegen, hinten steht Waldemar Wegmann mit Leckerchen.
Abgesehen von seinen Ausflügen führen Wegmanns Esel ein nahezu paradiesisches Leben. Als Moritz kam, wurde ihm schnell eine Freundin gekauft. Heute stehen noch vier seiner Kinder auf der Weide, Erna, Paul, Pauline und Gretchen. Die Eselstute ist bereits verstorben.
Seine Esel stehen sogar im Testament
„Esel sind leicht zu halten“, sagt Waldemar Wegmann. „Und sehr lieb.“ Pauline schrubbelt sich an ihm, sie möchte gebürstet werden. „Den Moritz muss ich abends immer hinter den Ohren krabbeln. Dann sag ich ihm, was er für ein Gangster ist und schieb’ ihn in den Stall.“ Wegmann lebt tagsüber wie ein Einsiedler am Kohlensiepen: Da hat er sich eine Holzhütte gezimmert, mit Gasofen, einem Bett, dem Herd für eine Suppe. Drumherum sind seine Tiere, die hier oft ihren Lebensabend verbringen: die Kamerunschafe, drei Gänse, Hühner und eben die Esel. „Ich lasse alle meine Tiere ewig frei rumlaufen, ich schlachte nix.“ Seine Frau hat Gardinen in der Hütte aufgehängt, sonntags kommt sie ihn mit Kuchen besuchen. Und abends kommt er nach Hause, in die Wohnung am wuseligen Berliner Platz.
Wegmann ist ein Naturmensch mit dem Herzen am rechten Fleck. Seine fünf Esel stehen bei ihm im Testament. „Schön ist es im Frühling, wenn die Raben auf den Rücken der Esel sitzen und die Winterwolle für ihre Nester rauszupfen.“
Wie feiert Moritz denn Weihnachten? Schön gemacht hat er sich – am Montag kam der Hufpfleger. Heiligabend bleibt Waldemar Wegmann bis spätnachmittags bei den Eseln, vielleicht macht er sein Mittagsschläfchen in seiner Hütte. Viel Arbeit wird er wohl diesmal nicht haben: Denn wenn Schnee kommt, baut Wegmann stets die 1,5 km Zäune ab – und gibt den Hang am Wartenberg für Wittens Kinder zum Rodeln frei.