Witten. . Hitlers Propagandaminister war am 12. 12. 1944 in Wetter. Vom Harkortberg aus verfolgte er den Luftangriff. Er schrieb darüber in seinen Tagebüchern.

Dies ist keine Zeitungs-Ente. Und anders als die „Hitler-Tagebücher“, bei denen der „Stern“ einer Fälschung aufsaß, sind die Tagebücher von Hitlers Reichspropagandaminister Joseph Goebbels historisch belegt. In Band 14 dieser Tagebücher (Oktober bis Dezember 1944) beschreibt Goebbels am 13. Dezember 1944 seine Erlebnisse und Eindrücke, die er von einer eintägigen Reise ins Ruhrgebiet am Vortag erhielt. Dazu gehörte der Luftangriff auf Witten vom 12. Dezember 1944.

Am 70. Jahrestag des ersten schweren Luftangriffs auf Witten hatte Zeitzeuge Karl-Friedrich Fiedler (78) in dieser Zeitung berichtet, wie der Bombenangriff das Uhrengeschäft seines Vaters Carl in der Bahnhofstraße und damit auch die wirtschaftliche Existenz der Familie zerstörte. Das nahm der Wittener Historiker Heinrich Schoppmeyer (79) zum Anlass, die Tagebuch-Einträge von Goebbels, die Witten und die Nachbarstadt Wetter betreffen, hier einmal für die Wittener Öffentlichkeit zu dokumentieren. Bisher waren sie offenbar nur in Fachkreisen bekannt.

Es handelt sich um die wesentlichen Auszüge, die Aufschluss über die Lage in Witten und der Region geben. Die Erläuterungen in Grotesk-Schrift, teils in Klammern, teils zwischen den Tagebuch-Zitaten, verfasste Heinrich Schoppmeyer.

Joseph Goebbels schreibt: „Ich bin den ganzen Tag über mit meinem Besuch in Westdeutschland beschäftigt. Wir haben eine über sechsstündige Verspätung. Die Züge fahren vom Beginn des Ruhrgebiets an sehr unregelmäßig, und vor allem werden wir immer wieder aufgehalten durch Militärzüge, die vorbeigelassen werden müssen.“

Es handelt sich um den Aufmarsch zur sogenannten Ardennenoffensive vom 16. Dezember 1944.

„Der Antransport von Soldaten und Material nach dem Westen ist enorm. Solche Verspätungen lässt man sich gern gefallen. Es herrscht regnerisches und nebliges Wetter, ideal für einen Besuch im Westen, da dann keine Tieffliegerangriffe in Frage kommen.“

Ausgabe an der Uni Bochum vorhanden

Quelle: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte (München) herausgegeben von Elke Fröhlich. Teil II, Diktate 1941-1945, Band 14 (Okt.-Dez. 1944), bearbeitet von Jana Richter und Hermann Graml, München, New York ... 1996. Einsehbar z.B. in der Bibliothek des Historischen Instituts der Uni Bochum, Gebäude GA, Signatur Nl06.11.02/22-2,14

Der Aufenthalt von Goebbels in Wetter ist auch durch die Kriegschronik der Stadt Wetter kurz dokumentiert: Dietrich Thier (Hg.): Die Kriegschronik der Stadt Wetter (Ruhr) von Gustav Ebert, Wetter 2000, S. 147.

„Die militärischen Veranstaltungen, die bei Gelegenheit meines Besuches geplant waren, fallen aus. Der Führer möchte nicht gern, dass jetzt im Blick auf die nahe bevorstehende Offensive unnötiges Aufsehen erregt wird. Ich fahre von dort aus (gemeint: Scherfede bei Warburg/Westfalen) zusammen mit dem Reichspropagandaamtsleiter zum Harkortberg (in Wetter), dem Befehlsstand von Gauleiter Hoffmann für Westfalen-Süd. Auf dem Harkortberg herrscht Hochbetrieb. Eben sind große Einflüge gemeldet, die genau das Gebiet ansteuern, in dem ich mich gerade befinde.“

Albert Hoffmann, 1907-1972, war 1944 bis 1945 Gauleiter für Westfalen-Süd. Er war 1925 als 18-Jähriger in die NSDAP eingetreten und danach in zahlreichen Funktionen der Partei tätig.

„Ich habe eine längere Unterredung mit Hoffmann und Generaldirektor Vögler von den Vereinigten Stahlwerken. Beide Herren schildern mir ausführlich die Situation. Die Lage an der Ruhr ist fast verzweifelt . . .“


Albert Vögler war 1926 bis 1935 Generaldirektor der Ver. Stahlwerke, dann Aufsichtsratsvorsitzender. Zuvor und parallel war er in vielen Funktionen der Ruhrwirtschaft und der deutschen Industrie tätig. Politisch schwankte er zwischen DVP und NSDAP und schließlich dem deutschen Widerstand (Goerdeler-Kreis). Die Ver. Stahlwerke waren ein Großverbund der Stahlwerke an der Ruhr. Im März 1930 besaßen sie 98 Prozent der Aktien von Guß Witten und brachten anschließend das Werk in die neu gegründete Ruhrstahl AG ein, zu der auch Guß Annen gehörte.

Der Harkortberg in Wetter: Von hier aus sah Goebbels, wie Witten brannte.
Der Harkortberg in Wetter: Von hier aus sah Goebbels, wie Witten brannte. © www.blossey.eu

„. . . und zwar ist das in der Hauptsache auf die desolate Transportlage zurückzuführen. Die Engländer und Amerikaner gehen resolut darauf aus, unsere Verkehrswege zu zerschlagen und damit ein Transportchaos hervorzurufen. Es wird zwar in großem Stil daran gearbeitet, die Eisenbahnanlage wieder in Ordnung zu bringen, aber irgendwo sind diese Anstrengungen begrenzt. Infolgedessen kann die Kohle, die die Halden überfüllt, nicht mehr abgefahren werden.“


Goebbels befürchtet im Folgenden wegen der Transportfrage eine Ernährungskrise im Ruhrgebiet, die Stahlproduktion sei betroffen, die Post sei säumig. Goebbels erwägt, Hoffmann als politischen Kommissar für das Ruhrgebiet einzusetzen, vermutet jedoch, der Widerstand der anderen Gauleiter (in Essen, Münster, Düsseldorf) für diesen Schritt sei nicht zu überwinden.

Goebbels: Die Wittener sind ohne Hoffnung

Joseph Goebbels schreibt in seinem Tagebuch weiter: „Ich erlebe während des Gesprächs gerade einen schweren Angriff durch die amerikanische Luftwaffe auf die nahe gelegene Stadt Witten.“

Goebbels irrt: Es war die englische.

„Witten wird an diesem Tage zum ersten Mal angegriffen und schwer mitgenommen.“

Es war nicht der erste, sondern der erste schwere Angriff auf Witten.

„Man sieht von oben herab (nämlich vom Harkortberg in Wetter), wie die Stadt lichterloh brennt. Am frühen Nachmittag fahre ich nach Essen, quer durch Witten hindurch, und erhalte hier einen deprimierenden Eindruck von der Hoffnungslosigkeit, in der sich die Bevölkerung dem feindlichen Luftterror gegenüber befindet. Allerdings ist, wie ich überall wieder feststellen kann, die politische und moralische Haltung des Volkes gänzlich einwandfrei. Daran ist nicht das Geringste auszusetzen. Aber selbstverständlich sind die seelischen und materiellen Belastungen, die mit dem feindlichen Luftterror verbunden sind, fast unerträglich. Eine große Industriestadt (Witten) an allen Ecken und Enden brennen zu sehen, das ist ein schauriger Anblick, und man möchte am liebsten die Augen vor so viel Elend verschließen.“

„Wir fahren durch Bochum. Die Stadt gleicht einem einzigen Trümmerhaufen.“

Gauleiter traut sich nur im Panzerspähwagen durch Witten

„Hoffmann besteigt seinen Panzerspähwagen, um sich den Lösch- und Aufräumarbeiten in Witten zu widmen. Wir fahren nach Essen weiter“

„Abends spät erst kommen wir auf dem Harkortberg an (nach der Rückkehr aus Essen). Da die Bahnanlagen bei Witten bei dem Mittagsangriff wieder zerstört worden sind, müssen wir eine mehrstündige Autofahrt bis nach Bestwig machen, um einen Zug nach Berlin zu erreichen.“

„Der Besuch im Ruhrgebiet hat zwar nur einen Tag gedauert, aber er ergibt für mich eine Summe von Erkenntnissen. Es wäre von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wenn der Führer selbst auch einmal eine solche Fahrt durchführen wollte und könnte. Von Göring will ich dabei ganz schweigen.“