Der Wittener Walter Baltes feiert heute seinen 90. Geburtstag. Er hat viel erlebt – als Zeuge der NS-Zeit, als Pionier, Maler, Verleger, Schreiber und Geschichtenerzähler
Er springt, springt, springt; von Erlebnis zu Erlebnis, kreuz und quer durch die Jahrzehnte, von Witten aus durch halb Europa. Stets geistesgegenwärtig, einnehmend und begeisternd. Zwischendurch nimmt sich Walter Baltes jedoch zurück. „Alte Männer erzählen zu viel” – das sagt er häufiger; als müsse er sich entschuldigen, dass er so viel erlebt hat. Walter Baltes feiert heute seinen 90. Geburtstag.
Bevor das Geburtstagskind zahlreiche traurige, ernste und auch lustige, aber immer authentische Dönekes hervor holt, hält er sich an die Dinge, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hat. Der Blickfang ist das Regenbogen-Band, eine Aktion von 1999 gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, an der sich Baltes beteiligt hat. Seine Idee, gerade Kinder und Jugendliche mit etwas Schönem und Bunten an die Greueltaten der NS-Zeit zu erinnern und so gegen das Vergessen anzuarbeiten, hatte großen Erfolg. Das hat selbst Baltes überrascht. Ein Jahr später, als er mal wieder eine Schule besuchte, trug das Gros der Kids die Bänder noch immer bei sich. „Da hatte ich Tränen in den Augen.”
Der Antrieb für diese farbenfrohe, und doch ernste Aktion, liegt ebenfalls vor Baltes auf dem Tisch, in tristem schwarz-weiß gehalten. „Von einem der mitgemacht hat”, heißt der Film, der Baltes' Vergangenheit und sein Verhältnis zur NS-Zeit aufzeigt. „Wir waren angepasst”, sagt Baltes, „und während des Krieges ist das gebröckelt.”
Dann erzählt der 90-Jährige von den Verwandten und den Kameraden, die während des 2. Weltkriegs gefallen sind, er spricht über die Stationierung auf Helgoland, den Kampfeinsatz in den Niederlanden.
Heikle Themen, über die Baltes auch vor Schülern spricht; mehr als 4000 waren es bereits. Er will Schülern etwas sagen, auch wenn die Beziehung für ihn schwierig ist. „Zu der Jugend von heute habe ich kaum ein Verhältnis – aber die Jugend zu mir”, sagt Baltes, ganz gerührt.
Die Geburtstagsfeier steigt nicht heute, sondern erst am kommenden Samstag, und auch dann wird die Party nicht riesig. Das mag der verheiratete Vater von vier Kindern nicht. Es kommen nur die engsten Verwandten.
„Jetzt mach' doch nicht so'n Bohei”, raunzt Baltes beinahe, als der Fotograf hier noch einmal knipst, da noch einmal abdrückt, und jenes Dokument noch in den Kasten bekommen möchte – als seien er und seine Geschichte nicht so wichtig. „Alte Männer erzählen zu viel”, sagt Baltes wieder. Na gut, wenn er meint – aber: Zuhören lohnt sich.