Schermbeck/Hünxe/Hamminkeln/Wesel. Die vom Abschuss bedrohte Wölfin Gloria ist über die Lippe gekommen und lebt nun offenbar im Dämmerwald. Erneut wurden Risse nachgewiesen.
Gloria ist offenbar umgezogen. Die Wölfin aus dem Schermbecker Wolfsrudel muss die Lippe und den Wesel-Datteln-Kanal in Richtung Norden überquert haben, denn die Fähe mit den Kennung GW954f ist zwischen dem 27. September und 24. Oktober sechsmal bei Nutztierschäden in dem neuen Gebiet nachgewiesen worden. Auch die jüngsten Risse in Bricht sowie zweimal in Drevenack (nur wenige Kilometer von Hamminkeln und Wesel entfernt) könnten auf ihr Konto gehen, liegen die Orte doch in ihrem mutmaßlich neuen Revier. Bestätigt ist das aber bisher nicht.
Laut dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) ereigneten sich die sechs ausgewerteten Fälle alle nördlich der Lippe im Bereich des Dämmerwalds in Schermbeck und seien somit die ersten sicher belegten Nachweise von Gloria in diesem Gebiet. Die Wölfin ist etwa sieben Jahre alt – mit ihrem verschollenen Bruder (Kennung GQ1587m) hatte sie in den Jahren 2020 bis 2022 drei Würfe mit nachweislich insgesamt neun Welpen. In diesem Jahr war vermutlich der neu zugewanderte Rüde „GW3616m“ Vater des Nachwuchses.
Seit 2018 erfolgten genetische Nachweise von GW954f – allerdings zunächst nur südlich des Wesel-Datteln-Kanals und nördlich der Autobahn A2. Zuletzt wurde Gloria, wie der ehemalige Kreis Weseler Landrat Ansgar Müller die Wölfin benannt hat, dort am 2. September in Bottrop-Kirchhellen bestätigt. Gegenwärtig sei noch nicht gesichert, ob die Wölfin ihr Streifgebiet nach Norden erweitert habe oder aus bislang ungeklärten Gründen das Territorium „Schermbeck“ verlassen musste und sich nun dauerhaft im Bereich des Dämmerwalds aufhält, so das Lanuv. Weiter heißt es, seit Mitte 2022 besetze hier der Rüde GW2889m das Territorium „Dämmerwald-Üfter Mark“.
Ob Gloria in dem neuen Gebiet und mit dem neuen Rüden allerdings glücklich wird, bleibt abzuwarten, denn in dieser Woche wurde – wie berichtet – bekannt, dass die Wölfin offenbar jetzt offiziell als Problemwölfin angesehen wird und deshalb ihre Tötung geprüft wird. „Für uns hier im Wolfsterritorium Schermbeck bleibt abzuwarten, ob die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung einer juristischen Prüfung Stand hält“, kommentiert Frank Boßerhoff, Vize-Vorsitzender vom Nabu Wesel, diese Nachricht und ergänzt: „In jüngster Vergangenheit wurden solche Vorhaben schon mehrfach gerichtlich gestoppt.“
Nabu zum möglichen Abschuss von Gloria: Bedenklich und unethisch
Sein Kollege Rolf Fricke vom Nabu Bottrop sagt: „Es gibt in NRW nur ein rein nordrhein-westfälisches Rudel, nämlich das mit dem Streifgebiet rund um Schermbeck. Wird nun daraus die einzige reproduzierende Fähe getötet, ist die Gefahr groß, dass sich dieses Rudel auflöst und erlischt. Das wäre für eine streng geschützte Tierart ein schwerer Verlust für die lokale Population in NRW.“ Außerdem fehlte dann der Wolfsfamilie eine erfahrene Ernährerin.
„Vermehrte Übergriffe auf Nutztiere oder verhungernde Jungtiere können die Folge sein. Tierschutzrechtlich bedenklich und sicher unethisch“, warnt Martin Frenk vom Nabu Borken. „Wird bei der Wolfsjagd – wie in Niedersachsen jetzt bereits zum siebten Mal – ein falscher, das heißt ein bisher unauffälliger Wolf getötet, steht dieses gesetzlich streng geschützte Tier zum Aufbau einer gesunden Population nicht mehr zur Verfügung.“
Schermbeck ein geeignetes Revier für Wölfe?
Der Naturschützer ergänzt: „Schermbeck und Umgebung haben sich als für Wölfe geeignetes Revier erwiesen. Andere Wölfe werden kommen, oder sie sind schon da. Treffen sie bei uns weiterhin auf maroden Herdenschutz, ist keinem Weidetierhalter mit der jetzt hier vor unserer Haustür vorbereiteten Wolfstötung geholfen.“
Auch vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse im Wolfsterritorium Schermbeck, wie beispielsweise dem Pony-Riss in Hünxe-Drevenack, fordern alle drei Nabu-Vorsitzenden von den politisch Verantwortlichen den Ausweis der Herdenschutz-Qualität bei jedem Nutztierriss, säumige Tierhalter in die Verantwortung nehmen, Aufwendungen für den Unterhalt von Zäunen und Herdenschutzhunden zu fördern sowie eine Ausweitung der Förderkulisse auf ganz NRW.
Die Schermbecker Grünen begrüßen hingegen die Prüfung der Tötung von Gloria: „Die Wolfsrisse der letzten Tage zeigen, dass es keine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Wolf geben kann.“ Weiter erklären sie: „Leider hat die auffällige Wölfin ihr Jagdverhalten an ihre Welpen weitergegeben. Eine rechtzeitige Entnahme hätte das verhindert.“