Wattenscheid. . Bei einem Wohnungsbrand hat Familie Canpolat im Februar ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Die Hilfsbereitschaft von Freunden, Bekannten und Klassenkameraden der Kinder war groß, eine neue Wohnung schnell gefunden. Was bleibt, sind nächtliche Alpträume, die besonders Mutter Selma zu schaffen machen.

Kurz vor vier Uhr am Nachmittag des 20. Februar steigt Selma Canpolat (36) ins Auto. Sie will ihre kleine Tochter Aylin (7) von der Grundschule Schulstraße abholen. Die türkisch-stämmige Familie wohnt an der Weststraße 178 a, Kreuzung Gelsenkirchener. Sohn Yasin (10) ist daheim, packt die Tasche fürs Fußballtraining. Ehemann Abdullah (44) ist unterwegs nach Holland. Mutter Selma fängt das Töchterchen ein, will den Wagen starten. Der springt nicht an.

Exakt in dem Moment ruft Sohn Yasin seine Muter an, schreit ins Telefon: „Etwas qualmt in der Küche.“ Der Wagen springt nicht an. Der Sohn meldet sich wieder, schreit: „Es brennt.“ Selma versucht ruhig zu bleiben, den Pkw noch einmal zu starten. Erfolglos. Sie springt aus dem Auto, packt sich die Tochter und rennt Richtung Weststraße. Eine Strecke von etwas über einem Kilometer, den man zu Fuß in etwa zehn Minuten bewältigt. „Ich hab’ ihn in knapp sechs Minuten geschafft“, sagt sie. „Ich bin um unser Leben gerannt.“

„Raus, raus aus der Wohnung. Renn!“

Unterwegs versucht sie immer wieder telefonisch Hilfe zu holen. Sie erreicht wieder ihren Sohn. „Raus, raus aus der Wohnung. Renn!“ Auf dem Weg riecht sie schon den Qualm. „Am Imbiss an der Kreuzung steht mein Sohn. Ich bin überglücklich, falle auf die Knie. Er lebt, er lebt,“ schildert sie.

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„Dann sind wir zum brennenden Haus gelaufen. Nachbarn und Fußgänger haben schon die Feuerwehr alarmiert. Ich hab’ nur noch Qualm gesehen.“ Sie ruft ihren Mann an, erwischt ihn auf der Autobahn in Holland. Abdullah Canpolat fragt nach ihr, nach den Kindern. „Wir sind alle gerettet“, sagt sie. „Das ist das Wichtigste“, hört sie ihn noch. Dann kollabiert sie, bricht zusammen. Ihre Geschwister sind an Ort und Stelle, nehmen die Kinder mit zu sich nach Hause. Der Rettungsdienst schafft Selma Canpolat ins Krankenhaus.

Neues Nest für vierköpfige Familie

Das alles ist jetzt zwei Wochen her. „Höre ich ein Martinshorn, könnte ich schreien“, sagt die Mutter heute. „Und Alpträume habe ich ständig.“ Aber auch ein unbeschreibliches Glücksgefühl. „Niemals hätten wir mit einer solchen Welle der Hilfe gerechnet. Wir hatten einfach gar nichts mehr.“ Die Grundschule Schulstraße, wo Tochter Aylin unterrichtet wird, bzw. der Elternrat und Förderverein, hilft. Die Realschule Höntrop, die Sohn Yasin besucht, ebenfalls.

Ungezählte Einzelpersonen, die St. Johannes-Gemeinde, ein bekannter Wattenscheider Matratzen-Hersteller „und viele, viele Menschen unterstützen uns. Wir können einfach nur Danke sagen.“ Auch Markus, ein alter Freund von Abdullah. Er wusste von einer Wohnung an der Weststraße 116, die gerade vermietet werden soll. „Markus hat den Kontakt zum Hauseigentümer hergestellt. Wir haben die Wohnung bekommen“, so Vater Abdullah. Dort bereitet die vierköpfige Familie jetzt ihr neues Nest. Bis dahin wohnen sie alle bei Selmas Schwester an der Hansastraße.