Wattenscheid. .
Das Kapitel Steilmann in Wattenscheid ist endgültig beendet – bei den verbliebenen 55 Mitarbeitern herrscht Wut und Enttäuschung über den Radici-Konzern.
Ende September lief der Mietvertrag der Solutions Modelogistik GmbH (früher Steilmann-Zentralversand) an der Burgstraße aus und wurde – obwohl die Möglichkeit bestand – nicht verlängert.
Damit standen die Mitarbeiter, die keine Kündigungen erhalten haben, am Montag vor verschlossenen Werkstoren – und seitdem sprichwörtlich auf der Straße. Kein Wort seitens der Geschäftsführung, wie es weitergeht. Telefon- und Computerleitungen sind seit dem Wochenende gekappt, Briefkasten und Firmenadresse entfernt, Lagerhallen und Büros geräumt. Für die Belegschaft, die seit Monaten über die Konzernleitung wütend ist, ein weiteres Kapitel in der bedrückenden Hängepartie. Die Mitarbeiter fuhren am Montag im Autokonvoi zum Gewerkschaftshaus an der Alleestraße, wo die IG Metall Räume und Ansprechpartner (u.a. Arbeitsagentur) zur Erörterung der vielen offenen Fragen bereit stellte. Die Beschäftigten wollen weiterarbeiten, können dies aber nicht mehr.
Aufgeben wollen sie allerdings nicht, sondern weiterkämpfen. Notfalls vor Gericht. 21 Mitarbeiter lassen sich durch den Wattenscheider Arbeitsrechtler André Gebauer (gehört zur Kanzlei Dressler) vertreten, die übrigen durch gewerkschaftlichen Rechtsbeistand. Gebauer, der schon fünf Kündigungswellen bei Steilmann/Radici erlebt hat, rechnet mit einem zähen Ringen vor Gericht. Er wird sich am Donnerstag mit den übrigen Rechtsanwälten über ein gemeinsames Vorgehen abstimmen. Hier handele es sich um einen Betriebsübergang, aus dem sich für die Arbeitnehmer ganz andere Rechte ergeben.
Die Mitarbeiter sind freigestellt, sie müssen sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos melden, um Arbeitslosengeld zu erhalten.
Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Theisen: „Es ist erschütternd, dass so ein Vorgehen des Arbeitgebers in Deutschland möglich ist.“ Der Betriebsrat wurde durch mehrere Eigentümerwechsel ständig vor neue Tatsachen gestellt. Jetzt wird mit einem Insolvenzantrag gerechnet. „Hier geht es doch nur darum, die Firma billig abzuwickeln und die größtenteils langjährigen Mitarbeiter um Abfindungen und Kündigungsfristen zu bringen.“ Auch Wencke Hartjes, langjährige IG-Metall-Mitarbeiterin, hat „ein derartiges Arbeitgeber-Vorgehen noch nicht erlebt“, das Verhalten des Radici-Konzerns sei unverantwortlich und unsozial.
Die Firma im Gewerbegebiet Wattenscheid-West war letzter Rest des Steilmann-Kapitels in Wattenscheid (ehemaliger Zentralversand). Erst Mitte Februar hatte die Radici AG, die den Steilmann-Konzern 2006 übernommen hatte, die an die Logwin AG outgesourcte Logistikfirma überraschend zurückgekauft und anschließend sofort die Schließung verkündet. Mitte Juli wurde die Firma erneut verkauft – für 1 Euro an die ECMG AG aus Essen. Laut Betriebsrat und IG Metall, um auf diese Weise die Sozialplanansprüche loszuwerden und die Firma billig abzuwickeln. In aufgeheizter Stimmung endete kürzlich das Einigungsstellenverfahren zum Sozialplan und Interessensausgleich.