Wattenscheid. In Konkurrenz zur Post treten sie schon längst nicht mehr. Die kleinen Hülsen mit Nachrichten am Fuß sind seit langem elektronischen Ringen gewichen, die alle Daten automatisch erfassen. Und trotzdem verbreiten die Brieftauben noch eine Faszination und ziehen die Menschen in ihren Bann.

Trotz kühlem und windigem Wetter ist es voll auf dem Gelände am Bismarckplatz. Die Reisevereinigung Wattenscheid 1919 hat am Samstag die Eröffnung der diesjährigen Brieftaubensaison gefeiert. Und wie bei allen Festen mit Bratwurst, Bier, Cola und Kuchen. Schlagermusik schallt aus den Lautsprechern, eine Tombola wirbt mit attraktiven Preisen. Im Vereinsheim diskutiert man eifrig über die Ergebnisse der Vorsaison.

Rund 50 Käfige mit Jungtauben in der großen Halle des Geländes zeigen, um welche Sportart es sich handelt. Und auch der Altersdurchschnitt der Anwesenden fällt auf. Hermann Zumbrink (75) bringt es auf den Punkt: „Uns fehlt der Nachwuchs. Die Mitgliederzahlen sind in den letzten Jahren leider deutlich gesunken“. Er selbst ist seit 65 Jahren aktiv im Brieftaubensport. Wie viele seiner Kollegen ist er durch Taubenschläge in der Nachbarschaft zu seinem Hobby gekommen: „Früher gab es überall welche und es war einfacher, Zugang zu finden.“

Gestiegene Steuern und neue Gesetze erschweren die Haltung immer mehr, der Aufwand wird für viele zu groß. Auch Helmut Cziborra hat seinen eigenen Taubenschlag 1997 aufgegeben, ist heute zusammen mit Manfred Lewandowski und Jürgen Greife in einer Schlaggemeinschaft aktiv. Zusammen haben sie für das Highlight der Veranstaltung gesorgt: Die Versteigerung einer ganz besonderen Brieftaube.

Cziborra erklärt: „Der Vater der Brieftaube ist der Star und Sieger der Saison 2011.“ In 7,5 Stunden hat die Taube 630 km von Österreich aus zurückgelegt und somit auf der längsten Strecke gesiegt.

Ein Telefonbieter startet die Versteigerung bei 300 Euro und schnell kommt es zu einem Zweikampf, der letztlich bei 800 Euro gipfelt. Der neue Besitzer Manfred Knipping hat bereits konkrete Pläne: „Die Taube wird zur Nachzucht eingesetzt, für den Freiflug eignet sie sich nicht“.

Junge Tauben müssen zu diesem Zweck von klein auf trainiert werden. Nicht alle Tauben finden aber auch den Weg zurück. Raubvögel und falsche Navigation sind die häufigsten Ursachen. Aber auch Überraschungen gibt es immer mal wieder: „Es kam auch schon vor, dass eine längst abgeschriebene Taube nach einem Jahr wieder in ihren Schlag zurückgekehrt ist“, berichtet Knipping.

Zumindest einen jungen Fan hat der Sport vorzuweisen: Cziborras Enkel Elias (6) begleitet seinen Opa oft in den Schlag. Und er kann sich vorstellen, auch eines Tages einmal seine eigene Zucht zu halten. Eine Aussage, die immerhin etwas Hoffnung auf Nachwuchs bei der Reisevereinigung zulässt.