Wattenscheid. .

Es riecht nach Festtagsbraten. Im Hintergrund klappern Teller und Bestecke. Manch einer der Gäste mag sich zur Mittagszeit des Heiligen Abends an seine Kindheit erinnern, doch jetzt sitzt eine andere „Familie“ mit am Tisch.

Es sind ebenfalls Obdachlose beim betreuten Mittagstisch der Diakonie an der Swidbertstraße, deren Zweckgemeinschaft zu einer Ersatzfamilie geworden ist.

„An Weihnachten muss ich immer an meine Uroma denken. Eine herzensgute Frau, die alles für mich gemacht hat. Sie starb in der Adventszeit“, sagt Bodo, ein wenig lauter als eigentlich nötig. Ganz nüchtern ist er nicht, obwohl im Haus auch am Heiligen Abend Alkoholverbot herrscht.

Bodo erzählt, er lebt schon seit 20 Jahren auf der Straße. Manchmal ernährte er sich durch das Sammeln von Flaschen, ein anderes Mal jobbte er beim Zirkus. „Ich durfte die Tiere füttern und bin durch ganz Deutschland gereist. Eine schöne Zeit, bekam aber nur fünf Euro pro Tag. Da konnte ich mir ja noch nicht einmal ‘ne Schachtel Kippen von kaufen“, erinnert sich der 46-Jährige.

Nicht nur zum Mittagessen, das alltags zum symbolischen Preis von einem Euro „verkauft“ wird, kommt Bodo in die Swidbertstraße. Er schläft auch nachts in dieser Einrichtung. In der Zwischenzeit geht Bodo durch die Gegend. Seiner Schätzung nach sind das so um die 60, 70 Kilometer pro Tag.

Bodos Kumpel Michael hingegen verbringt den Tag meistens mit S-Bahnfahren. Er ist auch nur ausnahmsweise beim Mittagstisch, sonst nutzt er das Haus der Diakonie lediglich als Schlafstätte. Seit einer Woche kennt man ihn dort, nachdem seine bisherige Unterkunft niedergebrannt ist. Bis 2006 war Michael Bauarbeiter. Auf die Arbeitslosigkeit folgte die Wohnungslosigkeit. „Man rutscht da einfach so rein, ich weiß es auch nicht genau“, schildert der 38-Jährige und fügt hinzu: „Die Angst ist draußen immer da. Die Übergriffe auf uns nehmen zu.“ Eine kaum nachvollziehbare Mischung aus Realitätssinn und Verschwommenheit spricht aus ihm.

„Die Probleme und Hintergründe der Menschen bei uns sind vielschichtig“, erläutert Arno Mücke. Der Leiter des Mittagstisches hat nicht nur zur Weihnachtszeit alle Hände voll zu tun. Das alte Gesundheitsamt ist baufällig. Ihm fehlen ehrenamtliche Helfer, die einmal pro Woche die Hauptamtlichen unterstützen. „Das Ganze ist ja nicht so einfach. Viele stellen nach kurzer Zeit fest, dass sie die Arbeit hier nicht leisten können. Es ist eben schwer vorstellbar“, schildert Mücke das Helferproblem.

Die Psyche seiner Klienten sei die größte Schwierigkeit. Die Hintergründe sind zwar bunt gemischt, viele der Obdachlosen hätten aber von Anfang an nie eine Chance im Leben gehabt. „Ein Schicksalschlag kann dann das Fass zum Überlaufen bringen“, kann Mücke aus seiner Erfahrung berichten.

„Wer an Weihnachten noch irgendwie eine Rückzugsmöglichkeit hat, vielleicht einen Familienangehörigen, nutzt sie dann auch. Bei den Anderen haben die Depressionen natürlich Hochkonjunktur“, sagt Mücke.

An den Festtagen werden daher weniger Essen in der Swidbertstraße ausgegeben. Etwa 40 Mahlzeiten sind es aber immer noch. Das sind dann die 40 Menschen, die dort ihre „Ersatzfamilie“ finden.