Wattenscheid. .

Martin Luther hat ein Wunschkennzeichen: BO- ML 77. Sein Wagen steht an der Adresse Voedestraße 79. Aber das Fahrzeug, auf das diese Kombination zugelassen ist, gehört weder dem Reformator, noch repräsentiert es eine autoverliebte Eitelkeit.

Der PS-starke Fünftürer mit Blaulicht und auffälliger Lackierung soll schnell und oft strapaziert werden – im Dienst des gesundheitlichen Gemeinwohls, mit einem Notarzt an Bord. Dem Martin-Luther Krankenhaus (MLK) war dieses neue Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) stolze 100 000 Euro wert (inklusive der medizinischen Ausstattung), damit das Krankenhaus vor Ort den kommunalen Rettungsdienst unterstützen kann.

Sechs Ärzte aus dem MLK-Team sorgen dafür, dass an vier Tagen der Woche – montags, dienstags, donnerstags und freitags – nach der Alarmierung immer ein Teammitglied der Abteilungen Innere Medizin oder Chirurgie schnell an Bord ist. „Wir haben 90 Sekunden Zeit, um einzusteigen“, verdeutlicht Oberärztin Rita Jülicher (47). Auch sie macht Dienst auf dem NEF, und ist deutlich zu erkennen an der roten Jacke mit dem Schriftzug „Notarzt“.

Damit sie und ihre Kollegen sich auf die von der Leitstelle der Feuerwehr gemeldete Notsituation einstellen können, übernehmen ausgebildete Rettungssanitäter von der Berufswehr oder Hilfsdiensten den Job als Fahrer. Zwei von ihnen sind an den Diensttagen immer im Krankenhaus in Bereitschaft. Warum nicht am Mittwoch? „Das hat die Feuerwehr in ihrer Bedarfsermittlung so festgestellt und auch, dass wir den Dienst nicht rund um die Uhr, sondern an unseren Einsatztagen von acht bis 13 Uhr zu leisten haben.“

Seit gut vier Wochen steht BO-ML zur Verfügung und kann bereits um die 40 Einsätze vorweisen, von Knochenbrüchen, Herzinfarkten, Schlaganfällen bis zu akuten Verschlimmerungen von chronischen Erkrankungen. Das macht bei fünf Dienststunden pro Tag zwei Alarmierungen, „aber man darf nicht vergessen, dass ein Einsatz durchaus anderthalb Stunden in Anspruch nehmen kann“, verdeutlich Dr. Alexander Andres (43), koordinierender Chefarzt der Anästhesie. Primäre Aufgabe sei der vom Arzt begleitete Patiententransport zu anderen Krankenhäusern, aber eben auch die Notfallversorgung.

Martin Luther hat laut historischer Quellen etwa vier Wochen benötigt, um die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Die Bemühungen des gleichnamigen Krankenhauses um einen Notarzt dauerten erheblich länger und fußen nach WAZ-Archivunterlagen aus dem Jahr 1993 auf einer Initiative von Martin-Luther-Krankenhaus und Marien-Hospital. „Für Wattenscheid besteht keine optimale Versorgung“, warnten seinerzeit deren Geschäftsführer. Aber das Vorhaben versank fast 18 Jahre im komatösen Tiefschlaf, bis jetzt der Vorschlag endlich umgesetzt wurde.

Die Arbeitsweise galt schon damals als effektiv und wird jetzt praktiziert: Der Notarzt fährt vom MLK los und trifft im so genannten „Rendez-vous-Verfahren“ auf ein Retterteam, das von der Wache an der Grünstraße startet.

Notärztin Rita Jülicher, die – ohne Spaß – tatsächlich aus Jülich stammt, hat zuvor in Essen gearbeitet und kennt von der Hellwegstadt bislang hauptsächlich nur „die Auf- und Zufahrten zur Autobahn“. Aber neulich hat sie bei einem Einsatz eine ihr aus dem Krankenhaus bekannte Dame wiedergetroffen, die den Notruf „112“ gewählt hatte, weil es jemandem nicht gut ging. „Sie war sehr froh, dass sie mich kannte.“

Wenn das Notarzt-Modell gut läuft, ist es durchaus möglich, dass das Wunschkennzeichen von Martin Luther auch nach dem auf zwölf Monate beschränkten Pilotprojekt das Einsatzfahrzeug vor Ort schmückt.