Wattenscheid. .

Aus Bochum, Herne und Hattingen waren jene zehn Männer angereist, die am 72. Jahrestag der Reichspogromnacht auf dem Nivellesplatz ein „Minjan“ bildeten, um dort das Kaddisch für die Opfer der Shoa zu beten. Für einige Augenblicke war ein Stück jüdischen Lebens nach Wattenscheid zurück gekehrt.

Kantor Frank Jankel Barth (59) ließ seinen Gefühlen freien Lauf: „Es rührt mich zu Tränen, dass wir hier ein Minjan haben, das aus Zugewanderten besteht.“ Dank sagte Barth einer Schülergruppe des Märkischen Gymnasiums, die die Gedenkveranstaltung unter Leitung von Marianne Pielsticker musikalisch mitgestaltete und mit ihm hebräisch sang. „Ich bin sicher, dass von diesen jungen Leuten nie eine Gefahr für uns oder andere Menschen ausgehen wird.“

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Von DerWesten

Es war ein Tag tiefer Gefühle: Felix Lipski (72), der als kleiner Junge die Gräuel der Nazis im Ghetto von Minsk erlebt hatte, rief vor dem Kaddisch sichtlich bewegt 87 Wattenscheider Kinder, Frauen und Männer jüdischen Glaubens beim Namen, die der Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen sind. „Sie sind unsere Brüder und Schwestern.“

Hannes Bienert (82), der vor zwei Jahrzehnten die Antifaschistische Bewegung (Antifa) in Wattenscheid gegründet und zeitgleich die Gedenkveranstaltung für die Opfer der Shoa ins Leben gerufen hatte, erinnerte an das Grauen, dessen Zeuge er in der Nacht zum 9. November 1938 geworden war. „Das war die Generalprobe für den millionenfachen Massenmord. Nie werde ich vergessen, wie der rasende Mob ,Juda verrecke’ schrie, und die Bilder der wahnsinnigen, menschenverachtenden Zerstörungswut sind unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegraben.“

Frank Barth, jüdischer Kantor, dankte den Schülern des Märkischen Gymnasiums für ihre musikalische Unterstützung. Foto: Horst Müller /WAZ FotoPool
Frank Barth, jüdischer Kantor, dankte den Schülern des Märkischen Gymnasiums für ihre musikalische Unterstützung. Foto: Horst Müller /WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Dass auch die Bezirksvertretung seit mehr als zehn Jahren am 9. November der Reichspogromnacht im Rathaus eine Gedenkveranstaltung widmet, hält Hannes Bienert für folgerichtig. „Wattenscheid hat mit Blick auf den Sitz der NPD-Landeszentrale eine besondere moralische Verpflichtung. Zwei Veranstaltungen, die an die Opfer des Nazi-Terrors erinnern und sich wider das Vergessen richten, sind klare Signale an das braune Haus in Günnigfeld.“

Und dann hatte Hannes Bienert noch ein Geschenk für Dr. Michael Rosenkranz von der jüdischen Gemeinde Bochum. Er überreichte ihm eine in Glas gelegte Innenansicht der ehemaligen Wattenscheider Synagoge. Zu sehen ist diese auch auf den drei gläsernen Stelen, die auf dem Nivelles-platz an die Opfer der Shoa erinnern. Rosenkranz hatte für das Vorhaben den Entwurf geliefert, Bienert realisierte es dann mit Hilfe von Sponsoren.