Wattenscheid. .

Ich bin dann mal weg… Nun sind inzwischen zwei Monate vergangen, dass die Firma Steilmann Wattenscheid verlassen hat mit dem Ziel Bergkamen.

Nach 52 Jahren endete die Historie des Traditionsunternehmens von der Feldstraße. Auf dem Firmengelände, auf dem einst bis zu 1300 Mitarbeiter fleißig tätig waren, herrscht gähnende Leere. „Ich bin dann mal weg…“ titelte Hape Kerkeling, und er meinte den Jakobsweg, der auch durch Wattenscheid führt.

Steilmann ist auch mal weg und wird es bleiben. Die 140 verbliebenen Mitarbeiter teilen nun das Schicksal vieler Ruhrgebietler und pendeln Tag ein Tag aus in das vom Bergbau geprägte Bergkamen. Statt Industriegebiet Wattenscheid West, nun Industriegebiet Bergkamen Rünthe.

Beinahe großstädtisch

Sechzig Kilometer sind es, die die Hellwegstadt und die bekannte Stadt am Kamener Kreuz trennen. Und allmorgendlich wird gependelt. Hauptsächlich mit dem Pkw, aber auch eine kleine Gruppe ÖPNV-Nutzer findet sich morgens gegen sieben am Wattenscheider Bahnhof ein. Viele Pendler auf dem Bahnsteig – und Wattenscheid macht einen beinahe großstädtischen Eindruck.

Der leere Firmenparkplatz der Firma Steilmann Texrtilien in Wattenscheid am Freitag, dem 27.08.2010, Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool
Der leere Firmenparkplatz der Firma Steilmann Texrtilien in Wattenscheid am Freitag, dem 27.08.2010, Foto: Gero Helm / WAZ FotoPool © Gero Helm / WAZ FotoPool

Ab Dortmund wird der Zug leer, und manchmal fühlen sich die „Steilmänner“ wie bei der versteckten Kamera oder wie in Christian Anders’ bekanntem Schlager „Es fährt ein Zug nach nirgendwo…“.

In Kamen geht es dann mit dem Firmenbully, den die Mitarbeiter mit 50 Euro pro Monat und Nase sponsern, nach Bergkamen. Ein properes Städtchen, mit Marina und schönen Neubauten, aber das Industriegebiet Rünthe unterscheidet sich kaum von anderen. So sind die Steilmänner eher zu Gast als neue Stadtbewohner.

Zu Haus nicht zu Hause

Zum Kennenlernen bleibt keine Zeit, zum Feierabend fahren der Bully und der Zug zurück nach Wattenscheid. Trude Herr sang einmal „Niemals geht man so ganz…“ So bleibt man Reisender zwischen den Welten, oder wie es Heinz Rudolf Kunze so treffend sagt: „Zu Haus nicht zu Hause, in der Fremde nicht fremd…“

Steilmann ist jetzt ein Unternehmen aus Bergkamen. Die Hemdsärmeligkeit ist weg, statt dessen eher ein modernes Modeunternehmen der Radici Gruppe. Die Mitarbeiter arbeiten weiterhin fleißig am Erfolg des Unternehmens, trotz höherer Fahrtkosten und höherem zeitlichem Aufwand. Durch das tägliche Pendeln geht sicher ein Stück Lebensqualität verloren, denn der größte Teil der Hellwegstadt hat schon geschlossen, wenn die „Bergkamener“ nach Hause kommen. Nur die Läden im Gertrudiscenter haben dann noch geöffnet, und genau diese Geschäfte finden sich auch im Industriegebiet Rünthe.

Ist das der Jakobsweg?

Folglich erledigt man seine Einkäufe schon in Bergkamen, um seinen Lieben daheim erst am anderen Morgen wieder sagen zu müssen: „Ich bin dann mal weg…“. Ob das wirklich der Jakobsweg ist?