Bochum. In Bochum sitzt die Polizei-Reiterstaffel. Was passiert mit Pferden, die in Rente gehen? Was mit Pferdeäpfeln? Ein Besuch und viele Antworten.
Blaulicht. Der Streifenwagen fährt an. Lautes Martinshorn. Sechs Pferde heben ihren Kopf, zucken eine Millisekunde hoch, bleiben aber ruhig stehen. Der große Wagen in blauer, gelber und silberner Farbe fährt an ihren vorbei. Sechs Reiterinnen tätscheln die Tiere, auf denen sie hoch zu Ross sitzen. Kurz danach bewegen sich Mensch und Pferd wieder über den Reitplatz. Es ist Dienstagmorgen, Trainingstag bei der Landesreiterstaffel in Bochum-Wattenscheid.
Wer durch das Tor auf das Gelände an der Zollstraße tritt, blickt zuerst auf ein Gebäude aus grauen Ziegelsteinen mit recht großem, gläsernem Eingang. „Polizei“ ist dort in Großbuchstaben zu lesen. Es erinnert an ein durchschnittliches Verwaltungsgebäude, modern, aber nicht besonders ins Auge stechend – wäre da nicht die Umgebung.
36.000 Quadratmeter: So sieht es hinter den Toren der Landesreiterstaffel aus
Grüne Weiden mit sattem Gras, zwei Reithallen, ein großer Sandplatz – Natur pur, mitten in Wattenscheid-Höntrop. Und das Zuhause von insgesamt 32 Pferden. Im Juni 2021 ist die Landesreiterstaffel hier eingezogen. 36.000 Quadratmeter hat die Polizei NRW über 20 Jahre angemietet, nachdem im Jahr 2015 beschlossen wurde, die beiden bisherigen Standorte in Dortmund und Willich zusammenzulegen.
Gerade führen mehrere Frauen die Pferde am Halfter aus dem Stall nach draußen. Sie tragen Reithose und Stiefel, gleichzeitig aber auch eine Jacke, auf der „Polizei“ zu lesen ist. Dienstagsmorgens und donnerstagnachmittags findet in der Regel das Training statt – wenn keine Einsätze dazwischenkommen. „Wir sind hier bei der Polizei, das kann jederzeit der Fall sein“, erklärt Thorsten Maicher, Leiter der Landesreiterstaffel NRW.
Hauptarbeitszeit der 42 Polizistinnen und Polizisten inklusive ihrer Pferde sei meist das Wochenende, bei Fußballspielen oder größeren Demonstrationen – landes-, hin und wieder auch bundesweit. Meist dauern die Einsätze etwa vier bis fünf Stunden – manchmal aber auch deutlich länger. „Mein Rekord liegt bei 13,5 Stunden beim G 20-Gipfel“, erklärt Roman Leyendecker, stellvertretender Leiter der Landesreiterstaffel.
Vor dem Einsatz durchlaufen die Pferde eine Ausbildung
Das Wohl der Tiere habe aber gleichwohl Priorität. Vor den Einsätzen verschaffen sich die jeweiligen Reiterinnen und Reiter einen Eindruck, ob die Pferde einsatzfähig sind. Generell: Tiere, die zur Landesreiterstaffel kommen, durchlaufen erst einmal eine Ausbildung. Wie lange die dauert, ist individuell. Erst nach erfolgreicher Zertifizierung – der nächste Termin dafür ist an diesem Donnerstag – dürfen sie an Einsätzen teilnehmen.
Pferde bei Großveranstaltungen einzusetzen – in der Regel in Einheiten von je sechs Pferden sowie Reiterinnen und Reitern – habe viele Vorteile. Durch die Größe der Tiere hätten die Beamtinnen und Beamten auf ihnen einen guten Überblick, gleichzeitig erzeugen die Pferde Respekt. „Die Leute machen automatisch Platz, wenn sie das Tier mit einem Gewicht von 700 bis 800 Kilo auf sich zukommen sehen“, sagt Leyendecker. So können beispielsweise Schlägereien ohne großes Eingreifen verhindert werden.
Der Weg zur Staffel
Wer als Polizistin oder Polizist bei der Landesreiterstaffel arbeiten will, muss den herkömmlichen Ausbildungsweg durchlaufen und dann einige Zeit bei der Polizei arbeiten, etwa bei der Hundertschaft oder auf Streife.
Regelmäßig gibt es dann Bewerbungsverfahren, für die die Beamtinnen und Beamten sich melden können.
Zum Arbeitsalltag gehört aber auch die Polizeistreife auf dem Pferd – beinahe täglich sind im Bochumer Stadtgebiet Beamtinnen und Beamte unterwegs. „Das ist auch ein gutes Training“, so Maicher.
Ärger gebe es hin und wieder durch herumliegende Pferdeäpfel. „Wer macht die nachher weg?“, fragen sich Bochumerinnen und Bochumer nicht selten. Die Antwort: Bei größeren Einsätzen würde anschließend gereinigt. Sind die Polizistinnen und Polizisten auf Streife, sei es allerdings nicht immer möglich, die Hinterlassenschaften der Tiere zu beseitigen. Eine Verpflichtung dazu gibt es im Übrigen nicht, bereits in der Vergangenheit verwies die Polizei auf die hoheitlichen Aufgaben, die das Pferd im Einsatz wahrnehme.
Arbeit der Landesreiterstaffel ähnelt der der Hundertschaft – mit einem Unterschied
Nach der Trainingseinheit auf dem Reitplatz an diesem Dienstag steht Polizistin Britta Voß (45) mit Pferd Calli auf einer Wiese vor dem Stall – zum „Anweiden“. Pünktlich zum Frühjahr kann sich das Tier so langsam an das Gras draußen gewöhnen, rund herum stehen weitere Beamtinnen mit Vierbeinern an der Hand. Voß ist mittlerweile seit acht Jahren bei der Landesreiterstaffel, war zuvor in der Hundertschaft. Die Arbeit ähnele sich, im Einsatz sind beide meist bei Großveranstaltungen.
Der Unterschied: Auf die 45-Jährige sowie ihre Kolleginnen und Kollegen kommen weitere Aufgaben dazu, die Pferde müssen vorher vorbereitet und aufgeladen sowie im Anschluss versorgt werden. Generell: Die Beamtinnen und Beamten erledigen hier in Wattenscheid nicht nur typisch-polizeiliche Aufgaben, auch landwirtschaftliche kommen hinzu.
Unterstützung gibt es zudem von Pferdewirtinnen und -wirten sowie einer Pferdewirtschaftsmeisterin. Regelmäßig zu Besuch sind zudem Hufschmied oder Osteopath, einmal pro Woche kommt der Tierarzt – oder sobald den Pferden etwas fehlt. Dass es ihnen gut geht, sei oberstes Gebot.
Polizistin Helena Rosenbaum ist seit elf Jahren bei der Landesreiterstaffel, sie versorgt gerade Pferd Paul. Die 41-Jährige reitet seit ihrer Kindheit, macht aber deutlich: Grundsätzlich ist sie erst einmal Polizistin, zweitrangig dann Reiterin. Zwar baue man auch Bindungen auf, anders allerdings als bei einem privaten Tier: „Die Pferde sind Einsatzmittel“, erklärt Rosenbaum.
Landesreiterstaffel der Polizei in Wattenscheid
Schlachter? Das passiert wirklich mit Polizei-Pferden, wenn sie in Rente gehen
Hartnäckig halten sie Klischees: „Was passiert wenn die Pferde in Rente gehen? Werden sie dann zum Schlachter gebracht?“, fragen Unwissende. Das kann Roman Leyendecker absolut verneinen. „Es liegt sehr in unserem Interesse, dass die Pferde einen guten Lebensabend haben“, sagt er. Er selbst besucht hin und wieder eines seiner ehemaligen Pferde, das vor einigen Jahren aus Wattenscheid auf einen anderen Hof umgezogen ist.
Die Tiere landen nicht beim Schlachter, im Gegenteil. Bei der Landesreiterstaffel würden sich regelmäßig Interessierte melden, aktuell stünden rund 50 auf der Liste. Sie wollen eines der Pferde übernehmen, zum Reitsport – wenn diese noch fit genug sind, aber nicht mehr bei der Landesreiterstaffel eingesetzt werden können. Dann findet ein Bietverfahren statt, das Geld fließt zurück in die Kasse der Steuerzahler.
Tiere, die nicht oder nur noch einschränkt geritten werden können, sogenannte Beistellpferde, werden gegen eine Schutzgebühr von 300 Euro abgegeben. Auch hier werde beachtet, dass sie in gute Hände abgegeben werden.
Zwei Jahre Landesreiterstaffel in Bochum-Wattenscheid: Ein Resümee
Fast zwei Jahre ist die Landesreiterstaffel nun in Wattenscheid, erst im vergangen Jahr konnten sich bei einem Tag der offenen Tür rund 10.000 Besucherinnen und Besucher einen Eindruck verschaffen. „Wir sind total zufrieden hier“, sagt Maicher.
Anfangs sei die Bevölkerung skeptisch gewesen, hatte Lärm und viele Einsätze befürchtet. „Das hat sich mittlerweile komplett gelegt“, sagt Maicher und wirft einen Blick über das große Gelände, vorbei am grau-modernen Verwaltungsgebäude, über die beiden Reithallen und die satt-grünen Wiesen, auf denen schon bald wieder Pferde stehen werden.
