Wattenscheid-Mitte. . Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, war in der Pestalozzi-Realschule zu Gast. Die Gruppe war zuletzt in Auschwitz.
Als Abraham Lehrer den Klassenraum betritt, stehen 25 Zehntklässler der Pestalozzi-Realschule umgehend auf und begrüßen den Vizepräsidenten des Zentralrats der Jugend im Chor mit einem „Guten Morgen!“. „Ich dachte, so etwas hat es nur zu meiner Schulzeit gegeben“, lacht der 64-Jährige.
Lehrer ist jedoch nicht zum Spaß gekommen. 90 Minuten redet er mit den Schülern über seine Arbeit im Zentralrat und als Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, über Antisemitismus, über seine Eltern – seine Mutter hatte das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt – und über die AfD.
Schüler verbrachten die Woche in Krakau
Die Diskussion, auf Einladung der Initiative Herausforderung Zukunft von Sascha Hellen, bildet für die Jugendlichen einen Abschluss der letzten Woche, die sie in Krakau verbrachten. 25 Schüler aus vier Klassen der zehnten Jahrgangsstufe hatten sich freiwillig gemeldet und sich in den letzten sechs Monaten auf die Reise vorbereitet. In Polen kamen sie mit Zeitzeugen der NS-Diktatur in Kontakt, zudem besuchten die Schüler Auschwitz. Erlebnisse, die betroffen machten. „Die Woche war wahnsinnig intensiv und emotional“, zollt Schulleiterin Silvia Zens den 15- bis 17-jährigen großes Lob.
Das ist Abraham Lehrer
Abraham Lehrer, 1954 in New York geboren, ist seit 1987 Mitglied des Gemeinderats der Synagogen-Gemeinde Köln und seit 1995 im Vorstand. Seit 2000 ist er Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden.
Der Leiter eines Software-Unternehmens ist seit 2014 Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er ist damit der Stellvertreter von Josef Schuster. Lehrer hat einen Sohn und eine Tochter.
Kein Wunder, dass die Jugendlichen da auch an Abraham Lehrer einige Fragen hatten. Lehrer wurde 1954 zwar in New York geboren, seine Eltern kehrten mit ihm aber im Alter von wenigen Wochen bereits zurück nach Köln – was bei jüdischen Familien absolute Seltenheit war. „Warum sind sie zurückgekehrt?“, will der 16-jährige Wesley deshalb wissen. „Mein Vater war wirtschaftlich unzufrieden und kam mit dem sozialen Leben in Amerika nicht klar“, sagt Lehrer.
Lehrers Eltern sprachen kaum über den Krieg
Über ihre Erfahrungen aus dem Krieg selber hätten Lehrers Eltern allerdings fast nie geredet. Seine Schwester sei einmal auf eigene Faust nach Warschau gefahren, wo der Vater während des Krieges mehrfach aus Arbeitslagern floh. „Er war gar nicht begeistert“, schildert Lehrer. Erst nach dem Tod seines Vaters hätte seine Mutter ab und an mal von ihren Erfahrungen berichtet.
„Was wünschen Sie sich von uns?“, stellt der 15-jährige Timo die nächste Frage. „Tretet für eure Werte ein“, antwortet Lehrer. Worte wie „Jude“ oder „Opfer“ würden inzwischen oft als Beschimpfung verwendet. Sei es auf dem Schulhof oder in Whatsapp-Gruppen. Dabei würde es nicht nur um Antisemitismus gehen. „Auch Muslime oder Frauen sind betroffen. Versucht, so etwas einzudämmen.“
Deutliche Kritik an der AfD
Zur AfD findet er auf die Frage von Charline, ob er die Partei als Gefahr wahrnehme, ebenfalls deutliche Worte. „Ja, sie bereitet mir Sorgen. Die Zahlen sind für uns sehr erschreckend“, gibt er zu. „Vergleicht man deren Wahlprogramm mit dem der NSDAP vor 1933 und tauscht das Wort ,Jude’ gegen ,Muslim’ aus, sind beide nicht weit voneinander entfernt.“ Begriffe wie „Kopftuchmädchen“ oder „Messermann“ würde die AfD zudem versuchen, mit negativer Konnotation in den normalen Sprachgebrauch zu integrieren.