Wattenscheid. Der Schulleiter der Liselotte Rauner-Schule, Christoph Graffweg (64), geht in den Ruhestand. Und ist froh, die Verantwortung ablegen zu können
Elf Jahre lang war Christoph Graffweg (64) Schulleiter in Wattenscheid. Zuerst an der Fröbelschule und seit August 2014 an der Hauptschule an der Voedestraße. Zum Ende dieses Schuljahres verabschiedet er sich in den Ruhestand. Für bundesweites Aufsehen sorgte vor einigen Jahren der WDR-Bericht „Die Hartz IV Schule“ über die Wattenscheider Fröbelschule. Er war damals dort Schulleiter. WAZ-Mitarbeiter Norbert Philipp besuchte Christoph Graffweg, Schulleiter der Liselotte Rauner-Schule, auf eine Tasse Kaffee im Rektorzimmer der Schule.
Herr Graffweg, halten Sie gerade Ihre Lieblingstasse in der Hand?
Christoph Graffweg: Ja. Ich mag diese schlichte, einfarbige Tasse. Nicht so gerne die dickwandigen Trinkbecher. Ich trinke Kaffee immer aus dieser Tasse. Manche Gewohnheiten sind mir wichtig.
Erzählen Sie ein wenig über sich. Wo sind Sie zur Schule gegangen?
In Essen, genauer gesagt in Borbeck. Ich bin Sonderschullehrer und habe in Dortmund an der Pädagogischen Hochschule studiert, später noch am Zentrum für lehrpraktische Ausbildung in Düsseldorf. Nach den Stationen Duisburg und Essen war ich von 2003 bis 2014 Schulleiter der Fröbelschule. Jetzt leite ich die Hauptschule noch bis zu den Sommerferien.
Im Sommer gehen Sie in den Ruhestand. Bedauern Sie dies?
Nein. Die Verantwortung, eine Schule zu leiten wird immer größer und ich erlebe diese Verantwortung als immer schwerwiegender. 1992 habe ich die erste Schulleitung übernommen. Anders als früher definiert sich Schule heute über eine Grundversorgung und zusätzliche Projektangebote. Dadurch werde ich zunehmend zum Projektmanager. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Vielzahl der Projekte uns kaum mehr Zeit für Deutsch, Mathe und Englisch lässt.
Ehrenamtliches auf die Beine stellen
Welche Note erhält der Schulleiter Graffweg von Ihnen?
Ich gebe mir eine „drei“, durchschnittlich. Ich versuche, eine gute Arbeit zu leisten. Ich war immer ein Forscher, ein Sucher, der Schülern mit anderen, interessanten Lernangeboten die Gelegenheit geben wollte, auf ihrem Bildungsweg dazu zu lernen.
Was kommt nach Ihrer Schulzeit?
Ich werde versuchen, mir eine Tagesstruktur zu geben. Vielleicht etwas Ehrenamtliches auf die Beine zu stellen. Zunächst einmal muss ich zum „Reparateur“, Ärzte besuchen. Ich habe mit den Besuchen gewartet, bis mein Dienst zu Ende ist. Ich mache etwas, was ich kann.
Und das wäre?
Ehemalige Kollegen steigen in die Telefonseelsorge ein. Zuhören und Beratung ist ja ein Großteil unserer Lehrertätigkeit. Dann bin ich noch Ombudsmann des Evangelischen Kinder- und Jugendhauses am Centrumplatz. Gleichzeitig mit mir hört eine Kollegin auf. Vielleicht gründen wir eine Werkstattgemeinschaft und bauen Lastwagen und Kräne für unsere Enkelkinder. Aber ich werde mal schauen, wie mein Alltag im Ruhestand aussieht.
Was hat sich im Rückblick noch verändert?
Die Welt ist anders geworden. Wenn ich die Leistungen der Kinder heute sehe, so möchte ich den Kindern von damals rückwirkend einen höheren Abschluss verleihen. Früher wurden bestimmte Kompetenzen bereits vorausgesetzt, heute sieht der Lehrplan anders aus. Kompetenzen wie Teamarbeit, Argumentieren und kognitive Prozesse müssen erst eingeübt werden und brauchen Lern-Zeit.
Dem heutigen Schulsystem geben Sie also eine schlechte Note.
Der Hauptschule gebe ich eine „vier“, weil noch in ganz vielen Dingen Luft nach oben ist. Ich meine nicht die Kollegen, die machen, was möglich ist. Ich meine die personellen Bedingungen, die Ausstattungen von Hauptschulen.
Zum Beispiel...
Zum Beispiel unser Schulhof. Schauen Sie sich den einmal an. Asphaltiert, keine Bank zum hinsetzen. Ich hätte gerne einen Bauwagen für unsere Schülerinnen und Schüler. Ohne Aufsicht, als Rückzugsort. Auch hätte ich gerne Sitzgelegenheiten und getrennte Bereiche für Bewegung und Ruhe.
Wie kann die personelle Situation an Ihrer Schule verbessert werden?
Ich habe keine Lösung. Zur Zeit sind viele offene Lehrerstellen unbesetzt, auch bei uns. Zudem: Wenn zwei Stellen ausgeschrieben werden, eine für die Hauptschule und eine für die Realschule, dann entscheidet sich der Bewerber für die Realschule. Es muss schon starker Idealismus vorhanden sein, sich für die Hauptschule zu entscheiden. Schule muss deshalb versagen.
Ist die Hauptschule also ein Auslaufmodell?
Wir sind wichtig. Wir gewährleisten die Durchlässigkeit des Schulsystems.
Wie meinen Sie das?
Das zeigt sich in der siebten Jahrgangsstufe, wenn die Orientierungsphase vorbei ist. Dann wechseln die Kinder von den Realschulen, die diese Schulform nicht schaffen, zu uns. Wohin sollen die Kinder sonst gehen?