Wattenscheid. Gerlinde Tolksdorf (71) hat Autoklappe nicht abgeschlossen. Täter hat Situation beobachtet und Wertsachen gestohlen. Noch keine Foto-Fahndung.
So typisch, so nervenaufreibend und schockierend und so kriminell: Die Kundin fährt ihre Einkäufe im Wagen aus dem Supermarkt direkt aufs Parkdeck zum Auto, lädt diese, nebst Handtasche, in den Kofferraum, will kurz den Einkaufswagen wegbringen, schließt den Kofferraum, vergisst aber die Klappe abzuschließen. Diesen Vorgang hat jemand ganz genau beobachtet, öffnet die Kofferraumklappe leise und vorsichtig, klaut die Tasche und macht sich aus dem Staub.
Es gibt eine Videoaufzeichung
Genau das ist der Wattenscheiderin Gerlinde Tolksdorf (71) am 5. Mai auf dem Rewe-Parkplatz an der Hochstraße passiert. Vom gesamten Diebstahl-Vorgang gibt es eine Video-Aufzeichnung, die der Polizei vorliegt, von Staatsanwaltschaft und Richter aber erst zur Veröffentlichung freigegeben werden muss. Und dafür gibt es Richtlinien und Vorschriften. Die Seniorin glaubte erst, ihre Tasche vielleicht im Supermarkt vergessen zu haben, fragte dort nach. Aber laut Video hat sie diese tatsächlich in den Kofferraum gepackt.
Diebstähle aus Pkw sind rückläufig
Insgesamt ist die Diebstahlquote eher rückläufig, auch die aus Autos. „Natürlich gibt es immer eine Dunkelziffer“, sagt Polizeisprecher Lemanis. „Nicht alle Opfer zeigen die Taten an.“
Konkrete Zahlen für 2018 liegen der Polizei noch nicht vor. Aber in 2017 habe es 1514 derlei Diebstähle gegenüber 2066 im Jahr 2016 gegeben. Die Aufklärungsquote liegt bei rund sechs Prozent.
Sofort Anzeige erstattet
Gerlinde Tolksdorf: „Da war alles drin. Geldbörse, Papiere, Kreditkarte, Handy, Brille, eben alles, was man so in der Tasche mitführt.“ Sie ist dann sofort zur Polizei gegangen, hat Anzeige erstattet. Sie sagt, sie habe die Video-Aufnahme gesehen. „Darauf kann man genau den Tathergang und auch den Dieb sehen.“ Sie meint, es sei ein Junge, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt. „Im Portemonnaie war nicht mehr viel Geld, ein paar Cent vielleicht. Ich wollte nach dem Einkauf direkt zur Bank gehen und per Karte Geld ziehen. Aber die Kreditkarte war auch weg.“
Alle Dokumente erneuern lassen
Seitdem ist mehr als ein Monat vergangen. Inzwischen hat sie all ihre wichtigen Dokumente bei den Behörden, ob Stadtverwaltung oder Straßenverkehrsamt, erneuern lassen. „Das ist nicht nur sehr zeitintensiv“, sagt sie, „sondern auch sehr teuer.“ Die Nachricht, ob man den Dieb erwischt hat, ist bei ihr nicht eingegangen. So schlussfolgert sie, dass der Täter noch nicht geschnappt worden ist. Sie fragt, „warum denn das Video, das den Täter genau zeigt, nicht veröffentlicht wird?“ Und mutmaßt, „dass der Junge zu jung ist und deshalb das Jugendschutzgesetz greift“.
„Ganz schön tricky“
Polizeisprecher Frank Lemanis erklärt das Prozedere: „Die Entscheidung, ob das Video veröffentlicht wird oder nicht, trifft die Staatsanwaltschaft, die beim Gericht den Veröffentlichungsbeschluss beantragt. Dem Antrag wird dann stattgegeben oder auch nicht. Das kann bis zu einem halben Jahr dauern.“ Die Justiz prüfe, wie gravierend die Straftat ist und ob das Bildmaterial taugt, veröffentlicht zu werden. Soll eine öffentliche Fahndung mit Bild stattfinden, geht das Material zurück zur Polizei, die dann für die Veröffentlichung sorgt. Lemanis: „Ab 14 Jahren gelten Jugendliche als strafmündig.“ Noch könne der Dieb in die Öffentlichkeitsfahndung gelangen, „und wer ihn kennt, der erkennt ihn auch nach ein paar Monaten“, sagt Lemanis. „Da ist der Zeitraum zweitrangig.“
Die Art und Weise, wie der Täter vorgegangen sei, sei aber schon „ganz schön tricky. Die Kriminellen nutzen die Fahrlässigkeit von potenziellen Opfern aus. Vorher werden die in Frage kommenden Personen genau beobachtet“, sagt Lemanis. Und: „Die Täter versuchen immer, mit einfachen Mitteln möglichst viel zu erreichen.“
Die geschädigte Gerlinde Tolksdorf hingegen bleibt wütend und genervt. Sie wünscht sich schon sehr, dass der Täter geschnappt wird.