Wenn der coole Zocker am Volkswandertag teilnimmt, kommt er am Ende überrascht zurück.Da wird eine vermeintlich lahme Senioren-Aktivität zur entspannenden Flucht aus dem Alltag
Ungläubig und erstaunt zugleich horche ich in meinen Körper hinein. Die Lunge pfeift nicht auf dem letzten Loch, und die Füße sind frei von Schmerzen. "Geht doch", motiviere ich mich selbst. Der befürchtete Leidensweg bleibt mir bei meiner ersten Teilnahme am Volkswandertag erspart.
Ganz im Gegenteil: Ich fühle mich gut. Irgendwie unheimlich, wenngleich der Deutsche Wanderverband mit dem Pfund "Gesundheit" für die Outdoor-Aktivität wuchert. Sechs Kilometer zum Wohlgefühl, damit liege ich im Trend. Denn Wilfried Dechardt, erster Vorsitzender der ausrichtenden Wandergemeinschaft Jung und Alt Bochum, bestätigt: "Der Trend geht zu den kürzeren Strecken." Hauptsächlich gestandene Teilnehmer gehen auf die große, 20 Kilometer lange Runde. Sollen sie doch, der Stempel auf meiner Startkarte bescheinigt mir, mich selbst überrascht zu haben.
Doch Eigenlob stinkt, und meine Leistung ist alles andere als außergewöhnlich. Im Vergleich zu Dieter Schnittka (71) wirkt sie geradezu lächerlich. "Zwanzig Kilometer sind für uns ein kleiner Spaziergang", klärt er mich am Kontrollpunkt auf. Er habe mit seiner Frau bereits mehrere Marathonstrecken zurückgelegt. Zur Bestätigung zückt er sein Wanderheft. Uff - der 71-Jährige hat mittlerweile tatsächlich 10486 Kilometer erlaufen. Das sei alles eine Frage der Übung und vor allem: "Der Kopf muss es wollen."
Mein Kopf hatte bereits morgens Schwerstarbeit verrichtet, denn ich sah mich mit der Frage konfrontiert: "Was ziehe ich an?" Der Experte meint, Schuhe und Strümpfe seien das wichtigste. Ein kurzer Blick nach unten und lächelnd gesteht mir Schnittka zu, wenigstens gute Straßenschuhe anzuhaben. Eigentlich tröstend, weil meine sechs Kilometer unter diesen Bedingungen bestimmt doppelt soviel wert sind.
Aber mit dieser Sichtweise bin ich fehl am Platz. Schließlich ist der Ausrichter Mitglied des 1974 eingetragenen Deutschen Volkssportverbandes (DVV). Der Zusammenschluss von über 1000 Vereinen hat unter anderem die Aufgabe, Veranstaltungen ohne leistungssportlichen Charakter zu unterstützen. Aus Spaß an der Freud' - darum geht es.
Und das Wanderfieber grassiert, ob am Wochenende bei 1578 Teilnehmern in Höntrop oder bei vom Wanderverband geschätzten 34 Millionen in ganz Deutschland. Wilfried Dechardt mag die Euphorie nicht ganz teilen: "Der Altersdurchschnitt ist hoch. Der Jugend bietet Wandern zu wenig Action. Es elektrisiert sie nicht." Da kann ich nun aus eigener Erfahrung nur mit dem Kopf schütteln. Sicher, Inlineskaten kommt fetziger daher. Doch beim Marsch von der Realschule Höntrop bis zur Kontrolle an der Waldstraße und schließlich über die Gartenstraße wieder zurück konnte ich die Seele baumeln lassen. Für mich war's einfach entspannend. Dass erscheint mir wie ein Gewinn, denn Stress und Action habe ich ansonsten wahrlich genug.