Laut hechelnd sitzt Rottweiler-Rüde Kevin hinten im Kofferraum des weißen Passats von Bernhard Schopp. Hund und Herrchen sind wie jeden Dienstag auf dem Weg nach Dahlhausen.
Wie gewohnt machen die beiden Halt in Sevinghausen. „Kevin muss erst noch entschlacken”, sagt der 75-jährige Schopp aus Wattenscheid. „Sonst macht er mir die Leute gleich verrückt.”
Die Leute, von denen Schopp spricht, sind nicht etwa der Hundetrainer oder die Freunde vom Hundesportverein, sondern die Bewohner des Rosalie-Adler-Altenzentrums. Schon im Eingangsbereich vor dem Haus werden die zwei sehnlichst erwartet. „Oh, da ist der Kevin ja endlich”, wird er von Helena Rakowski begrüßt.
Die 86-Jährige wartet jede Woche auf ihren vierbeinigen Freund. Sofort schnuppert Kevin an ihr, wedelt mit dem Schwanz und lässt sich von ihr hinter den Ohren kraulen. Bernhard Schopp steckt ihr ein paar Leckerchen zu, die ihr der Hund gierig aus der Hand frisst.
Auf die Frage, ob sie nicht Angst vor dem 45-Kilo-schweren Rottweiler-Rüden habe, erwidert sie entrüstet: „Vor Kevin? Das ist der liebste Hund den ich kenne!” Das gleiche sagen alle im Altenheim: Bewohner, Pfleger und Angehörige. „Kevin kommt schon zu uns seit er drei Monate alt ist. Wir haben da gar keine Bedenken”, bestätigt auch Michael Hannemann, Stellvertretender Leiter des Hauses. „Auf die Erziehung kommt es an”, erklärt Schopp. „Kein Hund wird böse geboren.”
Unterdessenzieht sich Helena Rakowski einen weißen Tennis-Socken über die Hand. Kevin schnuppert kurz, zupft behutsam mit den Zähnen an dem Strumpf und zieht ihn mit einem Ruck von der Hand der 86-Jährigen. „Das ist eine unserer Übungen, die wir jedes Mal machen”, erklärt Herrchen Schopp. „Das stärkt die Motorik der Alten und so bekommen sie ein wenig Körperkontakt.”
Überhaupt ist Körperkontakt einer der wichtigen Gründe, warum Bernhard Schopp und Kevin in das Altenheim fahren.
Nachdem sich die beiden im Eingangsbereich mühsam losgeeist haben, geht es mit dem Fahrstuhl gleich hoch in die dritte Etage. Dort wartet schon eine Bewohnerin auf Kevin. Sie steckt dem vierjährigen Rottweiler-Rüden ein paar Leckerchen zu und lässt sich im Rollstuhl von ihm aus ihrem Zimmer hinaus auf Flur ziehen. „Sie hatte einen Schlaganfall und wollte nie aus ihrem Zimmer”, erinnert sich Schopp. „Seit Kevin und ich da sind, kommt sie wenigstens ein bisschen raus. Das macht ihr sichtlich Spaß.”
Während Schopp nur den Rollstuhl lenken muss, hat sie Kevins Leine fest in der Hand und grinst dabei.
Nach dem Einsatz als Schlittenhund macht Kevin auf der zweiten Etage die Runde zwischen Rollstühlen und Rollatoren: schnüffelt hier, kriegt dort ein Leckerli, wird gekrault, getätschelt und gestreichelt. Schopp versteckt ein Leckerchen in einem Etui, das eine Rollstuhlfahrerin dann durch den Raum wirft, Kevin holt es und legt es in den Schoß der Frau, mit zittrigen Fingern öffnet sie den Reißverschluß und fummelt die Belohnung für Kevin heraus.
„Sehr gut” lobt Schopp und legt Kevin die Leine wieder um: die zwei müssen sich wieder auf den Weg machen. Noch während sich die graue Tür des Aufzugs schließt, winkt Kevin mit der rechten Pfote. Vom Flur hallt es in den Aufzug: „Tschüss Kevin, bis nächste Woche!”