Die neue SAT 1-Serie "Gnadenlos gerecht" ist den Profis im Vest ein Dorn im Auge. Sie befürchten eine Zunahmen von Denunziationen und falschen Fährten
Vest. Ihre Arbeit ist nicht spektakulär. Schon gar nicht ist sie fernsehreif. Die zehn Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes der Vestischen Arbeit arbeiten lieber im Stillen. Doch ihre Erfolge sind vorzeigbar: In den neun Monaten, in denen die Gruppe jetzt arbeitet, konnte sie nachweisen, dass 100 Bezieher von Arbeitslosengeld 2 (Hartz IV) nicht mit offenen Karten gespielt haben. "Hereinbekommen haben wir im selben Zeitraum 1200 Hinweise, teils aus der Sachbearbeitung selbst, teils von Dritten. 600 davon konnten wir bereits abschließen. Bei 77 Prozent der Fälle stimmte dann doch alles. Übrig geblieben sind 17 Prozent Missbrauchsfälle und sechs Prozent, bei denen etwas schief gelaufen ist", bilanziert Ulrich Kupke, Sprecher der Sozialbehörde, die sich im Kreis Recklinghausen um 35.000 Langzeitarbeitslose und ihre Familien – insgesamt 73.500 Menschen – kümmert. Bisher habe es auch nur zwei "etwas spektakulärere Fälle" gegeben, sagte Kupke, der Einzelheiten aus Datenschutzgründen nicht nannte.
Dass sich nun auch noch der Fernsehsender SAT 1 um Sozialmissbrauch kümmert und mittwochs ab 21.15 Uhr mit der Doku-Soap "Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln" Quote machen will, hält Kupke für kontraproduktiv: "Das läuft genau in die falsche Richtung. Durch solche Serien wird der Ermittlungsdienst noch stärker belastet, wird das Denunziantentum gefördert."
Denn gerade die Fälle, die von außen an die Behörde herangetragen würden, seien wenig ergibig: "Etwa 90 Prozent der anonymen Hinweise verlaufen im Sande. Nachbarn oder andere aufmerksame Menschen kennen oft die Zusammenhänge nicht, in denen Leistungsbezieher leben."
Die Sendereihe könne ein Klima für einen Generalverdacht gegen Bezieher von Sozialleistungen schaffen. "Dabei ist das für uns kein großes Problem: Wenn man die rund 150.000 Bescheide sieht, die wir pro Jahr ausstellen und das in Bezug zu den Missbrauchsfällen setzt, dann ist die Quote sehr gering", sagt Kupke.
Bei der Agentur für Arbeit sieht die Bilanz ähnlich nüchtern aus: "Bei durchschnittlich 5851 Leistungsbeziehern haben wir im vergangenen Jahr 69 Menschen gehabt, die laut Kontrollmeldungen parallel Leistungen der Agentur für Arbeit und Lohn bezogen haben. Bei der Hälfte der Fälle hat sich der Anfangsverdacht jedoch später in Luft aufgelöst. Da war die Post noch unterwegs oder die Akte noch nicht aktualisiert", sagt Agentur-Sprecher Peter Sölter.
Hilfe statt Kontrolle
Keine Fahnder bei den Krankenkassen
Vest. Sozialfahnder bei den Krankenkassen? Gibt es bei uns nicht, heißt es aus der AOK Regionaldirektion RE ebenso wie aus der Knappschaft-Zentrale in Bochum. Ein möglicher Betrugsfall könne sein, so AOK-Sprecher Wilhelm Schmitz, wenn ein Krankengeldbezieher schwarz arbeite.
"Aber wir prüfen so etwas nicht durch Kontrolle, gehen nicht in die Wohnung." Während der Arbeitsunfähigkeit würden die Versicherten betreut, "es besteht telefonischer und schriftlicher Kontakt in Form einer Unterstützung". Ähnlich handhabt es die Knappschaft. Liegt dieser eine Anzeige vor, geht sie "in berechtigten, nachweisbaren Fällen der Sache nach", so Sprecherin Susanne Heinrich.
Der Versicherte werde aufgefordert, Stellung zu nehmen; er sei verpflichtet mitzuwirken. Auch die AOK nimmt bei Hinweisen Kontakt zum Versicherten auf. Susanne Heinrich: "Ich gehe davon aus, dass andere Krankenkassen genauso verfahren." nig
Kriminelle Energie sei in den seltensten Fällen der Hintergrund: "Meist findet Sozialmissbrauch vor dem Hintergrund von Ahnungslosigkeit und Sorglosigkeit statt." Denn viele Bürger, die von Arbeitslosigkeit in Arbeit gingen, seien immer noch nicht darüber informiert, dass sie sich bei der Agentur für Arbeit abmelden müssen, sagt Sölter.
Und die Suche nach Sozialbetrügern? "Die hat 2004 der Zoll übernommen. Bis dahin hatten wir einen Ermittlungsdienst, den wir dann aber zum Zollamt Gelsenkirchen abgegeben haben", erinnert Sölter.