Recklinghausen. .

Etwa 850 Stadtwerke gibt es momentan in Deutschland. Und demnächst kommt vermutlich eines dazu. Wenn sich der Rat am kommenden Montag in nicht-öffentlicher Sitzung dafür ausspricht, dann geht Recklinghausen den Weg der Re-Kommunalisierung. 1926 hatte es seine Stadtwerke wegen der Weltwirtschaftskrise verkaufen müssen. Mehr als 80 Jahre später soll das Netz – auch wenn heute ebenfalls die finanzielle Not groß ist – zurückgekauft werden. Das nötige Kapital soll von einem Partner und von der Bank kommen.

Dass das Stromnetz momentan dem Energieriesen RWE gehört, dieser als Favorit im Bieterrennen um die strategische Partnerschaft gilt und demnächst womöglich RWE als Stadtwerkepartner Recklinghausens mit RWE als Netzinhaber um den Preis für das zu (ver-) kaufende Netz verhandelt, wäre eine bemerkenswerte Kuriosität. Beobachter fragen sich, ob dadurch der Preis besonders günstig oder eher überteuert sein würde.

Klare Entscheidungskriterien

Noch ist der Partner geheim. Die Entscheidung indes ist längst gefallen, wie die Mitglieder der elfköpfigen Energiekommission am Montag erfuhren. Den Zuschlag erhalten muss der Bewerber, dessen Angebot nach den Kriterien Wirtschaftlichkeit (50 Prozent), städtischer Einfluss (25 Prozent) und Entwicklungsperspektive (25 Prozent) die meisten Punkte erhalten hat. Das soll angeblich RWE sein, wird aber von Stadtvertretern nicht kommentiert. Damit das Verfahren unanfechtbar ist, dürfen Information vor der eigentlichen Entscheidung nicht an die Öffentlichkeit.

Zu entscheiden hat der Rat am Montag also nicht, ob RWE, die Gelsenwasser AG oder die Bietergemeinschaft Hertener Stadtwerke/Stadtwerke Herne den Zuschlag erhält, denn das gibt das Punkteranking vor. Frei entscheiden können die Ratsfrauen und –männer nur, ob überhaupt Stadtwerke gegründet werden sollen. Diese Entscheidung hat sich die Politik bis zum Schluss offen gehalten.

Doch dürfte sie nur eine Formalie sein, da sich im Vorfeld nahezu alle Fraktionen für die Gründung von Stadtwerken ausgesprochen haben. Die Chance, Kapital zu bilden, und direkten Einfluss auf die Energiepolitik zu nehmen, sind dabei die ausschlaggebenden Punkte.

Lukratives Geschäft

Tatsächlich gelten Stadtwerke wieder als lukratives Geschäft, allein 2011 wurden 18 Stadtwerke gegründet, etliche weitere sind in Planung oder schon gegründet. Denn: „Ein gutes Stadtwerk hat eine Kapitalrendite zwischen acht und zwölf Prozent“, sagt Hermann Janning, Chef der Stadtwerke Duisburg.

Das beflügelt. Und ruft doch auch die Kritiker auf den Plan. Wird tatsächlich RWE der Partner, so Vertreter der hiesigen Attac-Gruppe, dann mag sich damit Geld verdienen lassen. Eine dezentrale, alternative Energieversorgung ließe sich aber kaum aufbauen. „Es war falsch, sich von der Beraterfirma die Salamitaktik mit der Planung einzelner Gesellschaften aufdrängen zu lassen“, so Jochen Glenneschuster von Attac, „statt ein Gesamtkonzept für Netzbetrieb, Vertrieb und Produktion zu entwickeln“.

Einfluss nicht genutzt

Von Anfang an kritisiert hat die Regionalgruppe von Attac das Verfahren, mit dem ein strategischer Partner gesucht wurde. Wenn schon, wie die Stadt sage, diskriminierungsfrei hatte ausgeschrieben werden müssen, d.h. zum Beispiel von vornherein kein Bezug von Atomstrom ausgeschlossen werden durfte, hätten Positivkriterien entwickelt werden können wie die Anforderung, regenerativen Strom vertreiben und/oder produzieren zu wollen. „Das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Der Zug ist auf ein bestimmtes Gleis gesetzt“, sagt Jochen Glenneschuster von Attac.

Die Kritik richtet sich an den Rat, der seinen Entwicklungsspielraum nicht genutzt habe; gerade die Grünen („Die haben sich nicht einmal positioniert“) und die SPD. Tatsächlich hat SPD-Fraktions-Chef Frank Cerny beim Stadtparteitag 2011 erklärt, gesucht werden müsse ein Partner, der „innovativ und ökologisch orientiert sein muss“. Das müsse bei der Ausschreibung berücksichtigt werden. 2012 regte er eine „direkte Beteiligungsmöglichkeit für Bürger“ an. Was davon geblieben ist, wird sich bei der Gesellschaftsgründung zeigen. Sollte der Partner RWE heißen, muss sich auch SPD-Kreis-Chef Frank Schwabe erklären. Er hatte bei einer Stadtwerke-Konferenz gesagt, eine Beteiligung von RWE komme für die Sozialdemokraten nicht in Frage.

Derweil hat die Fraktion der Linken den Ratsantrag eingereicht, die Stadtwerke-Entscheidung zu vertagen und eine öffentliche Debatte möglich zu machen.

Und der Gewinner ist . . . – die drei Bewerber im Überblick

RWE Deutschland versorgt nach eigenen Angaben etwa 3000 Kommunen mit Energie, hat etwa 4800 Konzessionsverträge abgeschlossen und versorgt 6,8 Millionen Menschen mit Strom, weitere 1,06 Millionen mit Gas. Die Stromnetzlänge beträgt 342 000 km. Etwa 21 000 Mitarbeiter sorgen für einen Umsatz von 20,6 Milliarden Euro.

Bislang ist das Unternehmen bereits an 78 Stadtwerken beteiligt – in acht Fällen als Mehrheitsgesellschafter, 70 Mal mit Minderheitsbeteiligungen. Mehrheitlich beteiligt ist RWE zum Beispiel an der Gelsenkirchener Emscher Lippe Energie GmbH (ELE) und der ELE Verteilnetz GmbH (50,1 Prozent), an den Stadtwerken Düren (75 %) und den Stadtwerken Kamp-Lintfort (51%). Minderheitsbeteiligungen gibt es unter anderem an: Dortmunder Energie Versorgung GmbH (47%), der Energieversorgung Oberhausen (50%), den Stadtwerken Duisburg (20%), Essen (29%) und Trier (18,7%).

Die Gelsenwasser AG ist Versorger für Wasser, Strom und Gas. Sie hat gut 1000 Mitarbeiter und verzeichnete 2011 einen Umsatz von 865 Millionen Euro. Sie ist beteiligt an 18 Stadtwerken, darunter in Kaarst (50%), Selm (24,5%) oder Wesel (20%), sowie an weiteren kommunalen Unternehmen. So wie RWE ist Gelsenwasser Inhaber von Konzessionen, sieht im Trend zur Re-Kommunalisierung „die Chance, als Partner der Kommunen neue Betätigungsfelder hinzu zu gewinnen“. 2012 feierte das Unternehmen seinen 125. Geburtstag. 1891 hatte es mit der Lieferung von Wasser nach Recklinghausen begonnen.

Anfang dieser Woche ist das Unternehmen eine Partnerschaft mit acht Städten und Gemeinden aus dem Kreis Coesfeld eingegangen. Dabei geht es um den Verkauf von Strom und Gas. Die Partner wollen gemeinsam das Strom- und Gasnetz übernehmen und dann Energie unter einer neuen, regionalen Marke vertreiben.

Im November 2011 reichte die Bietergemeinschaft Hertener Stadtwerke/Stadtwerke Herne ein gemeinsames Angebot ein.

Die Hertener Stadtwerke GmbH wurde 1900 als Gasanstalt Herten gegründet und ist eine 100-prozentige Tochter der Stadt Herten. 1991 wurde die GmbH gegründet, zuvor war sie seit 1939 ein städtischer Eigenbetrieb. Das Stromleitungsnetz beträgt 664 km, der Jahresumsatz 69,4 Millionen Euro (Stand 2010) die Mitarbeiterzahl 210.

Als Gesellschaft Gaswerke Herne wurde die Stadtwerke Herne AG 1902 gegründet. Sie kooperiert bereits mit den Stadtwerken Bochum und Witten in der Energie -und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet eingegangen. Ihr Umsatz beträgt 158 Millionen Euro (2009), die Mitarbeiterzahl 279. In Recklinghausen, so die Partner, bestehe die „Chance auf eine historische regionale Kooperation im Energiebereich, die mit großen Vorteilen für alle Beteiligten verbunden ist.“