Recklinghausen. . In Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ retten nur Burghart Klaußner und Margarita Broich eine handwerklich dürftige Inszenierung vor musealer Peinlichkeit.
Der Bühnenvorhang war ein leeres Versprechen: Als hätte Edvard Munch persönlich das Design der Dollar-Note überarbeitet – so angstgeweitet öffnet auf diesem überdimensionalen „Greenback“ George Washington die Augen, greift sich an die Schläfen, den Mund zum Schrei geöffnet.
Hätte Wilfried Minks’ Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ doch etwas mehr von dieser bösen Frechheit. Stattdessen bewahrte nur die schauspielerische Präsenz der Publikumslieblinge Burghart Klaußner und Margarita Broich als Willy und Linda Loman dieses Gastspiel des St. Pauli-Theaters vor einem totalen Reinfall. Die Inszenierung nämlich ist museumsreif.
Schlimmer als das: Sie diskreditiert die entschiedene Modernität dieser Tragödie eines US-„Jedermanns“, mit der sich Arthur Miller vor 63 Jahren auf die Spielpläne des Planeten brachte. Gerade mit der damals so taufrischen „Methode Miller“, die chronologische Erzählung in quasi filmischen Rückblenden aufzubrechen, weiß Minks’ Regie nicht umzugehen.
Das ist schon keine Stilfrage mehr – das war dürftiges Handwerk, dem man im Kleinen Theater zusehen musste. Miller wollte die Zeitebenen (so ist’s in allen gedruckten Ausgaben des „Handlungsreisenden“ nachzulesen) vor allem durch die Lichtführung kenntlich machen, durch Auf- und Abblenden der Loman’schen Reminiszenzen. Minks dagegen lässt seine Darsteller immer wieder in schlecht motivierte Abgänge stolpern. Da fragt man sich schon peinlich berührt: Wieso führen alle Wege im Hause Loman durchs dürftig angedeutete Badezimmer?
Vor allem der erste Akt gerann so zu einem zähen Meisterstück eher unfreiwilligen Humors: So wie Christian Sengewald und David Allers als Loman-Söhne Biff und Happy durch ihre Teenager-Rollen tapsten, so grässlich beflissen wie einst der junge Tom Cruise, führte das Hinsehen schon zu fremdschämen. Nur für Margarita Broich führte der Ultra-Konservatismus dieser Inszenierung nicht zum Schaden an ihrer Figur der Linda Loman: Mit halb aufgelöster strähniger Frisur und im Kittelkleid wirkte sie wie das Inbild einer Trümmerfrau.
Es sind die Trümmer einer Familie mit drei großmäuligen Versagern, die sie immer wieder – mit fast unverständlichem Unverzagen – zu so etwas wie Solidität aufzubauen versucht. Das gilt schon für die Linda der 15-Jahre-Zurück-Blenden: Ihr sich stets selbst preisender Willy ist schon damals kaum in der Lage, ihr ehrlich und ohne rhetorische Windungen die Kläglichkeit seiner Vertreter-Umsätze zu benennen.
Also Burghart Klaußner als Willy Loman: Was soll ein derart vor Vitalität berstender Schauspieler mit dieser Rolle anfangen? Arthur Millers Handlungsreisender ist einer, der bereits in der ersten Szene zerbrochen ist, der nicht mehr kann – und der sich bis zum Selbstmord selbst belügt. „Wir haben in diesem Haus noch nie für zehn Minuten die Wahrheit gesagt“, brüllt der im zweiten Akt ungemein stärker spielende Christian Sengewald als Biff seinem Vater entgegen.
Sorry, aber für 60 Jahre Lebenslüge macht Burghart Klaußner einfach eine viel zu gute Figur. Wieso sollte ihn jemand „Knirps“ nennen, wie es die Übersetzung von Volker Schlöndorff unterstellt? Doch das immerhin hat Tradition in der Aufführungsgeschichte des „Salesman“: Schon der Willy Loman der New Yorker Ur-Inszenierung, Lee J. Cobb, war als Hollywoods düsterer Kraft-Klotz gegen den Typ des hilflosen Verlierers besetzt.
„Bravo“-Rufe und herzlichen Applaus gab’s für Burghart Klaußner – aber noch vernehmlicher für Margarita Broich als der einzigen guten Seele dieser Familie.