Recklinghausen. . Alexander Mindlin, Gründer des Marionetten-Theaters „Mini Dlin“,betreut die russischen Gast-Ensembles der Ruhrfestspiele.

Das Motto der ausklingenden Ruhrfestspiele, „Im Osten was Neues“, bestätigten sie mit Nachdruck: das extraschräge Fringe-Duo Maxim und Pavel, das kaum weniger wilde „Theater der Nationen“ aus Moskau, dazu das Weltklasse-Ballett von Boris Eifman. Und von heute an rockt die Balalaika-Boygroup „Bryats“.

Ein Gast aus St. Petersburg hielt während dieser sechs Wochen die Fäden in der Hand: Und dieses Bild passt auf Alexander Mindlin wie auf keinen Zweiten, denn der 49-Jährige ist ein Virtuose unter den Marionetten-Spielern. Mit seinem Theater „Mini Dlin“ spielte er für die Schiller’schen Ruhrfestspiele „Demetrius“, das Fragment gebliebene Drama vom falschen Zaren.

Wie kommt ein diplomierter Physiker zum Marionetten-Theater – und dann zum Auftrag, für die russischen Gast-Ensembles (nicht zu vergessen das Team der Ausstellung „Von den Taten des russischen Theaters“) zu übersetzen und zu managen? „Das ist eine lange Geschichte“, sagt der Pendler zwischen Wiesbaden und St. Petersburg. Alexander Mindlin erzählt sie gerne und anschaulich. „Ich bin immer etwas neidisch auf die geradlinigen Karrieren – meine verlief eher im Zickzack.“

Aufgewachsen ist der Sohn eines Ingenieur-Ehepaares – „meine Eltern bauten Flugzeuge“ – in Saratow an der Wolga. Sein Vater machte ihm früh klar, dass er nichts von einer Künstler-Boheme halte, „die nicht richtig arbeitet“. Der Sohn studierte brav bis zum Ingenieurs-Diplom. Doch ein Uni-Club infizierte Alexander Mindlin mit dem Marionetten-Virus. „Wenn ich das Spielkreuz in Händen halte, ist es wie eine elektrische Spannung.“ Der Puppenspieler lacht über seine eigene Formulierung, es sei „ein göttliches Gefühl“, wenn er geschnitztes Holz in einen „Schauspieler“ verwandle.

Den Eltern überreichte er sein Ingenieurs-Diplom. „Mein Vater sprach zwei Jahre nicht mit mir.“ Denn in St. Petersburg studierte nun der junge „Bohemien“ an der Akademie der Theater-Künste das Regiefach – und zwar speziell für Marionetten. Seit 17 Jahren besteht sein eigenes Virtuosen-Ensemble namens „Mini Dlin“. Und Alexander Mindlin behauptet lächelnd: „Aller Anfang ist leicht!“ Vom Straßentheater in Wiesbaden und dem begehrten Arbeits-Visum für Künstler war’s ein kurzer, steiler Weg zu gut bezahlten Varieté-Auftritten in Freizeitparks.

Doch der „Mini Dlin“-Gründer sagt: „Wenn ich neu anfangen könnte, würde ich mich sofort aufs Theater konzentrieren.“ So hatte Franz Peschke, der künstlerische Berater der Ruhrfestspiele, das kleine Ensemble im Winter 2010 kennen gelernt: mit einer zweistündigen Aufführung von „Carmen“. So kam’s zur Verpflichtung für die 65. Ruhrfestspiele. Voller Respekt spricht Alexander Mindlin über die Arbeit mit dem Schiller-Fragment „an einem unbekannten Kapitel russischer Geschichte: Es war eine große Herausforderung für uns“.

Und „uns“ meint stets das Team von „Mini Dlin“. Die Marionetten-Künstler sind in diesen Wochen ohne ihren Chef in China unterwegs. „Jetzt sitze ich zwischen zwei Stühlen“, sagt Alexander Mindlin lachend – und sehr kommod auf den Polstern im Festspielhaus-Foyer. Mit seinem „Freund, Partner und Agenten“ Dimitrij Sacharow betreut er die russischen Ensembles dieser Ruhrfestspiele. Für ihn selbst, meint der 49-Jährige, waren diese sechs Wochen eine exzellente Schule in Kultur-Management.

Und welches Festspiel-Resümee ziehen die Gäste aus Moskau und St. Petersburg? Alexander Mindlin zitiert den großen Choreographen Boris Eifman, dessen Compagnie so begeisternd „Onegin“ tanzte: „Die Ruhrfestspiele sind hervorragend organisiert, in einer bildschönen Stadt – aber niemand kennt sie im Ausland.“ Der 65-jährige Eifman habe „viel mehr internationale Publicity“ empfohlen.

Er selbst habe während der Festspiele „nur drei bis vier Stunden geschlafen“, sagt Alexander Mindlin sehr munter. Aber für ein Ensemble im Tournee-Stress, das hörte er von allen Landsleuten, gebe es kaum etwas Schöneres als Engagements über vier oder fünf Tage: Zeit, zwischen den Auftritten durchzuatmen. „Und mitten in einem Park zu arbeiten, die Vögel singen zu hören“, versichert der virtuose Fädenzieher, „das ist für Moskauer wie im Märchen“.