Marl. .
Einen Augenblick noch, bittet Franz Krüger. Er wolle noch eben die Kindergartengruppe aus Herten verabschieden. Dann habe er Zeit, um Bilanz zu ziehen über seine Zeit bei der Polizei. Nach fast 44 Dienstjahren nämlich verabschiedet sich der langjährige Leiter der Polizeiwache Marl mit dem heutigen Tag in den Ruhestand.
Er hat sich lange vorbereiten können auf dieses Datum: 62 Jahre alt ist Franz Krüger in diesem Monat geworden; damit hat der Erste Polizeihauptkommissar die Altersgrenze zum Wechsel in den Stand des Polizei-Pensionärs erreicht. „Dankbar“, sagt Franz Krüger, sei er für das Erreichte; vor allem aber sei er dankbar dafür, dass er die Altersgrenze „ohne gravierende gesundheitliche Beeinträchtigung“ erreicht habe. Denn seine Dienstjahre als „Freund und Helfer“: Sie hätten auch anders enden können.
Es ist Franz Krüger dies besonders bewusst geworden in dieser einen Situation. Keinen seiner Einsätze als Chef der Hundertschaft in den 90er Jahren erwähnt er in diesem Zusammenhang, als er und seine Mannschaft bei den Atomtransporten in Gorleben und den Chaostagen in Hannover zur Zielscheibe von Demonstranten wurden. Auch die bundesweiten Einsätze in Leipzig, wo er und seine Kollegen Eskalationen zwischen Rechts und Links unterbinden mussten, und die gewaltbereiten Hooligans in den Fußballstadien, die seine Wege kreuzten, listet er zwar auf in seiner Bilanz. Doch das alles gehörte ebenso zu seinem Beruf wie seine Erfahrungen während der Stabsarbeit im Präsidium (u. a. mit der Gladbecker Geiselnahme) in den 80ern. Und wie später seine Erlebnisse als Leiter der Marler Wache, wo zuletzt vergangene Woche ein 36-Jähriger die Tötung seiner Frau, vermutlich vor den Augen eines der Kinder, gestanden hatte.. Die meisten solcher Ereignisse, sagt Krüger, „werden vom nächsten sofort überlagert“.
Einmal allerdings war alles anders: Im Juni 2000 – dem Jahr, bevor er die Leitung der Marler Polizeiwache von Manfred Hoffmann übernahm – wurden in Waltrop eine Kollegin und ein Kollege von einem Einzeltäter erschossen. Ohne Vorwarnung. Das Schicksal der zwei bleibt ihm bis heute auch emotional unvergesslich.
Und doch: Bis zum letzten Tag ist Franz Krüger sein Beruf Berufung geblieben. Die Arbeit bei der Schutzpolizei („das Bindeglied zur Bevölkerung“) war dabei genau das, was der Sohn eines Zeitungsfotografen schon immer machen wollte. „Ich bin“, bemüht der 62-Jährige einen Vergleich aus der Leichtathletik, der er als früherer Mittelstreckler und amtierender Vorsitzender der Kreis-Leichtathleten bis heute sehr verbunden ist, „nun mal ein Zehnkämpfer.“
Als solcher erinnert er in seiner Bilanz denn auch an die gegenüber Mord, Geiselnahme, der Polizeiarbeit infolge des Möllemann-Todesfalls am Flugplatz Loemühle 2003 an die zwar unspektakulärere, aber gleichwohl nicht weniger wichtige Polizeiarbeit. Dass die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle im letzten Jahr auf den tiefsten Stand seit Einführung der Statistik gesunken ist, freut ihn, zum Beispiel. Aber auch, dass ihm Michail Gorbatschow bei seinem Besuch 2003 in Marl persönlich die Hand schüttelte, wird ihm in schöner Erinnerung bleiben. Und die „gute Zusammenarbeit mit Feuerwehr, Ordnungsamt und den Kollegen“.
Bei letzteren übrigens verabschiedete sich Franz Krüger gestern bei Kaffee, Kuchen und Büfett, Enkelsohn Jesse (3) nahm er mit auf die Wache. Als der Kleine den zweifachen Opa indes nach einer Fahrt mit dem Polizeiauto fragte, musste der den Enkel enttäuschen. Die Schlüssel habe er schon abgegeben. „Opa ist ja jetzt nicht mehr bei der Polizei . . .“