Recklinghausen. . Christian und Kai Brückner servieren im Festspielhaus die genialeSäufer-Geschichte „Die Reise nach Petuschki“ als perfekte Unterhaltung

Leises Gekicher oder auch lautes Gelächter, meistens andächtiges Schweigen, zum Schluss dann begeisterter Applaus und verdiente Bravo-Rufe: Christian und Kai Brückner , Vater und Sohn, verabreichten mit ihrer literarisch-musikalischen Matinee „Die Reise nach Petuschki“ am Sonntag bei den Ruhrfestspielen einen starken Zaubertrank.

Und der bestand aus besten Zutaten, nämlich verführerischer Vortragskunst samt vollem Körpereinsatz, denn Christian Brückner erzählt gestenreich und stehend, und der komplexen, mit der Erzählung korrespondierenden Musik von Kai Brückner.

„Die Reise nach Petuschki“ ist die wahnwitzige und wahnsinnig gute Geschichte eines Trinkers aus der Feder von Wenedikt Jerofejew, inklusive diverser „Filmrisse“ und philosophischer Betrachtungen, penetranter Aufdringlichkeiten, Melancholie, Selbstmitleid und Verfolgungswahn.

Christian Brückner schwelgt und faselt, hat Schluckauf, spricht verwischt, stellt Existenzfragen, beschwört die Engel und den lieben Gott, nuschelt und bettelt um alkoholischen Nachschub, dass es eine wahre Freude ist. Und Kai Brückner liefert dazu den passenden Sound, denn er beschwört mit hallenden Gitarrenklängen den hämmernden Kopfschmerz des aus seinem Delirium Erwachenden, imitiert Bahnhofsgeräusche und spielt den Säufer-Blues.

Das voll besetzte große Haus hätte allein für zwei Männer und zwei Mikrofone ein zu großes Forum sein können, doch Christian und Kai Brückner beherrschten Raum wie Publikum. Man hätte bei den leiseren Tönen von der Bühne eine fallende Stecknadel gehört, so intensiv lauschten die Zuschauer.

Und sie schauten hin, denn Christian Brückner, der zum dritten Mal mit seinem Sohn Kai bei den Ruhrfestspielen auftrat, sitzt nicht wie andere vortragende Schauspieler-Kollegen brav am Tisch. Der 68-Jährige zieht es vor, stehend vorzutragen. Gestenreich erzählt er, lebt den Text. Der ganze Körper ist im Einsatz. „Am Ende ist dann das Hemd durchgeschwitzt, klar“, erklärt er nach der Vorstellung im Gespräch mit der WAZ.

Mit seinem Sohn Kai arbeitet Christian Brückner immer wieder zusammen, und das auch schon lange. „Das haben wir schon gemacht, als ich noch zur Schule ging, also gute 20 Jahre“, so Kai Brückner. Beide nennen ihr harmonisches Zusammenspiel schlicht gute Zusammenarbeit.

Nach den „Hymnen an die Nacht“ von Novalis und Casanovas Tagebüchern waren Christian und Kai Brückner zum dritten Mal bei den Ruhrfestspielen. Zum Konzept der von Festivalleiter Dr. Frank Hoffmann initiierten Lese­reihe am Sonntag gehört es, dass den eingeladenen Künstlern Autor und Werk vorgegeben wird. Darum war es für Vater und Sohn selbst eine Premiere, „Die Reise nach Petuschki“ vorzutragen.

Entsprechend neugierig waren beide auf die Reaktionen der Zuschauer. Christian Brückner zeigte sich zufrieden und entspannt: „Ich hatte befürchtet, für einen Sonntagvormittag sei das zu schwere Kost. Aber das Publikum war hervorragend.“

Obwohl er sich auf seine Vortragsarbeit mit einem gewissen Perfektionismus vorbereitet, lässt „The Voice“, die deutsche Synchronstimme Robert DeNiros, auch immer Raum für Improvisation. „Das Publikum ist nie gleich, sondern immer anders, und darauf muss ich auch eingehen.“ Könnte Christian Brückner sich auch vorstellen, mal nicht mit einer Lesung zu den Ruhrfestspielen zu kommen, sondern in einem Drama mitzuspielen? „Das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. Es hat mich aber bisher noch keiner gefragt.“

Die nächste Lesung bestreiten Andrea Sawatzki und erstmals Christian Berkel am Sonntag, 20. Mai, um 11 Uhr mit „Zwei auf einer Bank“ von Alexander Gelman.