Recklinghausen. . Heike Makatsch zählt zum „Chor“ der Bühnenfassung von „Krieg und Frieden“

„Natürlich ist es eine Überforderung“, sagt Uwe Bautz, der Chefdramaturg des Leipziger Centraltheaters – acht Stunden vor einer rund sechsstündigen Premiere. Das war es auch für Lew Tolstoi, der sechs Jahre an „Krieg und Frieden“ schrieb, um sich und seine Gedankenwelt dann noch in einem über hundertseitigen Epilog zu erklären. „Eine gedankliche Quersumme“ des gewaltigen Stoffs, so deutet Bautz die Inszenierung seines Intendanten Sebastian Hartmann.

Die großen Kinofilme und Fernseh-Mehrteiler, so sieht’s der 43-jährige Regisseur, „haben ein riesengroßes Problem: Sie erzählen nur den Plot“. Sie inszenierten Schlachtengemälde und das amouröse Dreieck von Pierre, Natascha und André. Hartmann macht im Pressegespräch deutlich: Ihm geht’s um Größeres, um den philosophischen Gehalt jenes monumentalen Romans, den Dramaturg Bautz ohnehin als „absolut experimentelle Komposition aus Theorie, Fiktion, Erzählung und Dokument“ sieht.

Mehr Spaß mit Vorwissen

„Geh ‘rein und guck, so finde ich Theater am schönsten“, sagt Manuel Harder. Seine Kollegin Heike Makatsch allerdings meint: „Mit Vorwissen kann man mehr Spaß daran haben.“ Die „Jane“ der während der 2011er Ruhrfestspiele heftig diskutierten „Paris, Texas“-Inszenierung beschreibt die lange Probenzeit in einer Leipziger Industriehalle: „Es gab kein Skript – nur die zwei Bände von Tolstoi. Wir haben alle fleißig gelesen und ganze Probentage mit der Diskussion verbracht.“ Der nachdenkliche Star nennt die so mit den Schauspielern als „Mitgestaltern“ entstandene Bühnenfassung „in der Pop-Sprache ein Medley“. Heike Makatsch spricht von der „Hürde“, die das Ensemble zu nehmen hatte: „Es gibt keine Figur, in die man eintauchen kann, keine Liebesgeschichte, bei der wir mitbangen, ob sie sich kriegen.“

Darin nämlich gleicht die „Methode Hartmann“ für „Krieg und Frieden“ jener der 2011er „Räuber“-Inszenierung von Nicolas Stemann. „Wir werden über Chöre arbeiten“, erklärt der Leipziger Theater-Chef. „Das Ensemble spricht mit einer Stimme oder ein Schauspieler spricht für einen anderen oder ein Schauspieler spielt einen Dialog – alleine.“

Frauen dürfen erröten und erbleichen

Der Regisseur nimmt seinen Darstellern das Vertraute einer Rolle – „denn jeder Schauspieler verteidigt seine Rolle bis aufs Messer“. Dagegen deutet Dramaturg Uwe Bautz die Gedankenwelt Tolstois so: „Gewiss ist dem aufgeklärten Individuum nichts.“ Wer an der erzählerischen Oberfläche bleibe, also den Befreiungskriegen gegen Napoleon, der erlebe „so etwas wie Fackeln im Sturm“, meint Guido Lambrecht. Tolstois Frauenbild ist für den 44-Jährigen ohnehin indiskutabel: „Frauen dürfen erröten oder erbleichen. Auch das gilt es aufzubrechen.“

Heike Makatsch – weder errötend noch erbleichend – appelliert an den Zuschauer, „sein Herz zu öffnen – dann wird man so viel entdecken“. Wer diese Bereitschaft nicht mitbringe ins Festspielhaus, ahnt die 40-jährige Grimme- und dreifache Bambi-Preisträgerin, „der wird abgeschlagen zurück bleiben“.