Recklinghausen/Castrop-Rauxel/Herne.
Jahrelang mussten die Arbeitnehmerinnen in den oft weit verstreuten Filialen der Drogeriekette Schlecker um ihre Rechte kämpfen. Die Gründung von Betriebsräten in den einzelnen Verkaufsbezirken stieß nicht auf Gegenliebe. Die Arbeitnehmervertretungen mussten sich die ihnen zustehenden Arbeitsmittel wie Raum, Telefon, Literatur und Schulungen oft genug vor den Arbeitsgerichten erstreiten. Jetzt, wo der Familien-Besitz nach eigener Darstellung kaum noch über Eigenmittel zur Rettung der Kette verfügt, ist die Solidarität der Mitarbeiter gefragt.
„Die Angst ist ganz groß“
Karin Baumann (49) ist Verkaufsstellenleiterin ohne Verkaufsstelle, die von ihr geleitete Schlecker-Filiale in Herten an der Antoniusstraße wurde bereits geschlossen. Als Betriebsrätin ist sie die Interessenvertreterin für das Personal von 14 Schlecker-Filialen in Recklinghausen und Herten. WAZ-Redakteur Andreas
Rorowski sprach mit ihr über die Situation bei ihrem Arbeitgeber. Die Drogeriemarktkette musste vor einigen Tagen Insolvenz anmelden.
Wie sehen Sie die Zukunft von Schlecker?
Baumann: Wir haben die Hoffnung, dass es weiter geht.
Worauf stützt sich diese Hoffnung. Haben Sie neue Informationen?
Informationen bekommen wir wie früher nur aus den Medien, über die Insolvenz haben uns als erste die Kunden informiert. Aber dass wir immerhin wieder Ware bekommen, seit das Unternehmen Insolvenz angemeldet hat, werten wir schon als gutes Zeichen. Es soll ja wieder 150 Lieferanten geben, die uns Waren schicken. Das stimmt uns zuversichtlich.
Wie würden Sie die Stimmung in ihren Filialen beschreiben?
Die Angst ist ganz groß. Viele Kolleginnen sind deutlich über 40 und alleinerziehend. Unter diesen Voraussetzungen einen neuen, vergleichbaren Arbeitsplatz zu bekommen, ist schwer. Und über Schlecker kann man ja alles sagen, aber wir haben immer pünktlich unser Geld bekommen, wurden nach Tarif bezahlt und haben Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten.
So geschehen jetzt vor dem Arbeitsgericht Herne, wo der von Karin Baumann geführte Betriebsrat des Bezirks Recklinghausen mit Rechtsanwalt Volker Meerbeck ein Beschlussverfahren gegen Schlecker mit dem Ziel angestrengt hatte, vor allem bei Versetzungen von einem in den anderen Bezirk die Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes zu beachten. Konkret ging es um den sich wiederholenden Einsatz von rund zehn Springerinnen aus dem Bezirk Castrop-Rauxel mit gerade noch sechs Verkaufsstellen im Bezirk Recklinghausen mit noch 14 Verkaufsstellen. Diese mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen, oft kurz vor dem Wochenende von Bezirksleiterin Köckritz festgelegt und angeordnet, landeten, rügte der Betriebsrat, immer erst montags auf seinem Tisch.
„Jahrelang wurde uns gesagt, dass die Personalkosten die Verkaufsstellen kaputt machen,“ so Betriebsrätin Karin Baumann. Jetzt werde ohne Beachtung von Sozialauswahl und Regelungsabsprachen das Besetzungsprogramm durchgezogen.
Dafür hatte Verkaufsleiterin Eickhoff eine Begründung, die es bis zum Jahresende noch nicht gab. Das vom Amtsgericht Ulm eröffnete und zunächst bis zum 31. März laufende Insolvenzverfahren der Schlecker-Gruppe hindere die Arbeitgeberseite in den einzelnen Bezirken daran, „Sozialauswahl und Regelungsabsprachen zu vereinbaren.“ Ohne den Insolvenzverwalter gehe das nicht. So appellierten beide Prozessvertreterinnen der Arbeitgeberseite an die Arbeitnehmervertretung. zumindest bis Ende März die jetzige Praxis zu tolerieren. Immerhin „geht es jetzt um das gesamte Unternehmen.“
Betriebsratsvorsitzende und Anwalt („Wir können nicht aus pragmatischen Gründen das Betriebsverfassungsgesetz aushebeln“) stimmten schließlich unter der Bedingung zu, dass „dem Betriebsrat Einsatzort und Einsatzzeit so schnell wie möglich mitgeteilt werden“. Gleichzeitig warnte die Arbeitnehmerseite aber davor, dieses Abkommen zu strapazieren. Es dürfe nicht sein, dass durch den Einsatz von zehn Springerinnen aus der Nachbarstadt die „Personalkosten künstlich hochgehalten werden und unser Bezirk dann unwirtschaftlich wird.“ (AZ 3 BV Ga 3/12)