Recklinghausen.. Der Schock steckt Herbert Greszuk immer noch in den Gliedern. Und wenn er erzählt vom Chaos auf der Costa Concordia, von dem Beiboot, dessen Taue sich erst nicht vom Schiff lösen ließen und vom Fall des Boots aus großer Höhe aufs Wasser, droht der 62-Jährige die Fassung zu verlieren. Für einen Moment scheint er wieder dort zu sein, im Mittelmeer unmittelbar an der kleinen toskanischen Insel Giglio, wo am Freitagabend das 112 000 Tonnen schwere Flaggschiff der Costa Kreuzfahrten mit 4200 Menschen an Bord auf Grund gelaufen ist. Er stockt, hält die Tränen zurück und sagt: „Als wir im Beiboot waren, da hatte ich Todesangst.“
Nur mit einer Hose und einem dünnen Hemd gekleidet, war Herbert Greszuk mit seinem Partner Jörg Schulten lange nach dem Ruck, das das Schiff beim Aufprall auf einen Felsen erschütterte, an Deck gekommen. „Ich dachte erst, wir hätten ein anderes Schiff gerammt“, so Greszuk. Trotz der Erschütterung, des ausgehenden Lichts und der Neigung des Schiffs auf die Seite habe er sich erst gar keine Sorgen gemacht und habe andere Passagiere beruhigt. „Ich habe noch gesagt, die wissen schon, was sie tun“, erinnert er sich. Und sagt heute: „Wer konnte auch damit rechnen, dass da so ein Pannemann als Kapitän auf dem Schiff ist.“
Schwere Vorwürfe richtet er aber nicht nur an den Käpt’n. Von der gesamten Crew sei überhaupt nichts zu sehen gewesen. Nur die „Ärmsten der Armen“, die Filipinos, die Kellner oder Stewards hätten sich gekümmert. Und er erzählt zornig von einer Begebenheit nach der Ankunft auf der kleinen Insel Giglio. Dort hätten sie sich in einem Hotel aufwärmen können. „Plötzlich hielt ein Wagen, eine Frau und zwei Männer kamen herein, piekfein gekleidet“, würdigten niemanden eines Blickes und entschwanden nach oben. Greszuk: „Das waren Crewmitglieder, höhere Chargen, ich habe sie an den Uniformen erkannt. Gekümmert haben sie sich um nichts.“ Schon auf dem Schiff seien „die feinen Herrschaften“ nach dem Unglück nicht zu sehen gewesen.
Umso rührender seien die Einwohner Giglios um die Passagiere bemüht gewesen. Reichten Decken, schenkten Tee aus. „Da hat jemand aus einem kleinen Haus heraus Handtücher, Decken und anderes gereicht.“ Und wieder stockt Herbert Greszuk die Stimmen. Wieder wird ihm bewusst, wie unmittelbar nebeneinander er Nächstenliebe und Egoismus erfahren hat.
Schwierig sei sie gewesen, die Nacht auf Giglio – trotz der Hilfe. „Wir haben doch alles verloren.“ Alles liegt im Schiff. Ausweise, Karten, Geld, Kleidung. Mit nichts anderem als seiner schwarzen Hose und einem schwarzen Hemd musste er raus ins Boot und dann aufs Wasser. Erst einen Tag später habe er einen Pullover und eine Jacke von Costa erhalten. Kleidung, die er ebenso wie besagte schwarze Hose und das Hemd auch am Dienstag noch trug.
Dass er so abgeklärt war, nach dem irgendwann doch einsetzenden Warnsignal den Notfallplan zu befolgen und von Deck neun nach unten in die Kabine zu gehen, um die Schwimmweste zu holen und sich dann auf Deck drei am vorgeschriebenen Notfalltreffpunkt einzufinden, ist nur seiner Routine von mittlerweile sechs Kreuzfahrten zu verdanken. „Bei der ersten Kreuzfahrt hätte so etwas nicht passieren dürfen.“
Jetzt fühlt er sich wie ein Schiffbrüchiger. Er sagt: „Wir sind noch einmal davon gekommen und können dem Herrgott danken.“
Alles bestens organisiert – bis zum Unglück
Kühl ist es an diesem Dienstagmorgen im Erdgeschoss an der Franz-Bracht-Straße 154 in Recklinghausen. Dort betreibt Herbert Greszuk ein Blumengeschäft und ein Café. Bis zum 23. Januar sind Betriebsferien. Dann soll alles wieder tipptopp für den Publikumsverkehr sein.
„Aber ich muss erst einmal um meine persönlichen Dinge kümmern“, sagt er. Alle Papiere muss er neu besorgen. Bloß gut, dass die Polizei in Italien ihm ein Dokument ausgestellt hat, das beweist, dass er auf Unglücksschiff war. So hatte er einen Beleg dafür, trotz fehlender Unterlagen sein Auto im Parkhaus am Dortmunder Hauptbahnhof auszulösen.
Und so konnte die Kripo, die zweimal bei seinen Nachbarn in Olfen angeschellt hatte, ihn von der Vermisstenliste streichen lassen. „Da standen wir noch immer drauf, obwohl wir uns in Italien abgemeldet haben.“ Mit dem Bus waren sie in der Nacht von Sonntag auf Montag in Dortmund angekommen, von dort aus ging es per Taxi nach Olfen.
Begonnen hatte die Reise eine Woche zuvor. In Savona waren Greszuk und sein Partner Jörg Schulten an Bord gegangen. 499 Euro hatte die siebentägige Reise mit der Costa Concordia gekostet. „Ein absolutes Schnäppchen, deshalb haben wir zugegriffen“, so der Geschäftsmann.
Eigentlich lässt er auf Costa nichts kommen. Sechs Fahrten hätten sie bereits absolviert, vier mit Costa. Alles sei immer bestens organisiert gewesen. „Es darf eben kein Unglück passieren.“ Die Frage, ob er wieder ein Kreuzfahrtschiff betreten wird, stellt sich nicht wirklich für ihn: „Davon lasse ich mich nicht schocken.“ Er werde nur etwas genauer hinschauen, mit welchem Schiff er fährt.