Vest. .

Die Geschichte beginnt vielleicht so: Es war einmal eine alte Dame, die hatte ihr ganzes Leben lang Kinder großgezogen, einen Partner umsorgt, Haus und Garten in Ordnung gehalten. Jetzt sind die Kinder aus dem Haus, der Mann ist gestorben und die Aufgaben, einst wichtige Eckpunkte der Tagesgestaltung, sind weniger und weniger geworden. Sie schläft schlecht, ist viel allein und genehmigt sich hin und wieder ein Glas, weil sich dann alles irgendwie leichter anfühlt.

Oder die Geschichte geht so: Es war einmal ein alter Herr, der hatte sein ganzes Leben lang malocht. Nach der Schicht trafen sich die Jungs in der Kneipe und nicht selten ging es hoch her, echte Männer trinken eben. Jetzt ist er längst im Ruhestand, verbringt viel Zeit allein, nur das Bier schmeckt noch genauso gut wie früher, auch, weil sich dann alles irgendwie leichter anfühlt.

Wir könnte so weiter erzählen, Varianten derselben Schicksale. Dass immer mehr Menschen über 60 mit einem ernsthaften Alkoholproblem zu kämpfen haben, ist erwiesen, doch anders als exzessiv trinkende Jugendliche nimmt das Thema wenig Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Auch, weil die Betroffenen schweigen, aus Scham oder weil sie ihr eigenes Problem nicht als solches erkennen. „Wir erleben sehr häufig, wenn es um ältere Menschen geht, dass sich die erwachsenen Kinder melden und erzählen, dass Mutter oder Vater ein Problem haben“, weiß Wolfgang Fischer von der Suchtberatung der Caritas in Recklinghausen, „an die Betroffenen selber ist nur schwer ranzukommen“. Die eigene Sucht öffentlich machen, professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Für viele ältere Menschen ist dies noch immer ein gesellschaftlichen Tabu. Auch deshalb, so Fischer, seien sie therapeutisch schwieriger zu erreichen als etwa 40-Jährige.

Einsamkeit, Gewohnheit aber auch körperliche Beschwerden sind häufige Gründe für eine Alkoholsucht im Alter. Der Rausch lindert Schmerzen, lässt vergessen und nicht zuletzt schlafen. Allzu oft wird die Abhängigkeit auch von den Umstehenden bagatellisiert: „Da herrscht so ein bisschen das Bild, dass man Menschen über 65 sowieso nicht mehr ändern kann und dass man das dem Alter irgendwie zugestehen muss“, erläutert Fischer. „Die Aufmerksamkeit, die älteren Menschen in unserer Gesellschaft zuteil wird, ist generell geringer. Gerade beim Thema Sucht sind es die Jüngeren, die im Blickpunkt stehen.“

Dabei kann eine Alkoholsucht gerade bei älteren Menschen fatale Folgen haben. „Die Abbaugeschwindigkeit im Alter ist wesentlich verlangsamt und die Erholungsphasen dauern länger“, so Fischer. Das Risiko von Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Demenz nimmt zu, die Einnahme von bestimmten Medikamenten kann im Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholkonsum gefährlich werden und Stürze sind im Rauschzustand wahrscheinlicher. Die Sorgen und Nöte aber, die immer wieder zur Flasche treiben, lassen sich nicht ertränken. Niemals.