Recklinghausen. .

Krisen sind Gestaltenwandler, kommen mal als plötzlicher Zusammenbruch, mal als schleichender Prozess, hüllen sich gerne in Schatten, machen sich groß, zehren von den Ängsten der Betroffenen, lähmen das System. Oft sind Worte die wichtigste Waffe, denn was einmal ausgesprochen, thematisiert ist, verliert seinen diffusen Schrecken. Doch nicht jeder kann oder will Ansprechpartner im eigenen Umfeld finden. Die Telefonseelsorge ist vielen eine Alternative. 18 900 Anrufe verzeichnete sie in Recklinghausen im Jahr 2011.

Gisela Potisch und Rainer Bylitza helfen als ehrenamtliche Mitarbeiter. Gemeinsam mit 88 Kollegen sorgen sie dafür, dass Hilfesuchende rund um die Uhr ein offenes Ohr finden. Normalerweise bleiben die Ehrenamtlichen wie ihre Anrufer auch anonym, Potisch und Bylitza aber haben sich entschieden, der Telefonseelsorge in der Öffentlichkeit ein Gesicht zu geben. Beide sind berufstätig und haben Familie. Dass sie sich neben all dem auch ehrenamtlich engagieren, liegt nicht zuletzt an der hervorragenden Begleitung durch Hauptamtliche und Experten. „Man kann ja an so vielen Stellen ehrenamtlich tätig sein, aber meistens bleibt man da mit seinen Sachen allein“, erklärt Gisela Potisch. „Hier ist das anders.“

So geht dem eigentlichen Einsatz am Telefon eine kleinschrittige einjährige Ausbildung voraus. Die aktive Arbeit wird von Weiterbildungsmaßnahmen, Fachtagungen und sehr regelmäßigen Treffen mit Kollegen und Experten begleitet. „Diese Weiterbildungsgruppen sind das Herzstück“, betont Brigitte Gahr, seit 25 Jahren Gruppenbetreuerin und Supervisorin bei der Telefonseelsorge. Die Sozialpädagogin und Psychotherapeutin weiß um die Wichtigkeit des Austausches: „Ich denke, die Gruppen wirken stabilisierend, vermitteln Sicherheit im fachlichen Bereich und bieten eben auch die Möglichkeit, sich Gespräche, die sehr schwierig oder belastend waren, in der Gruppe gemeinsam noch mal anzuschauen.“ Und ein bisschen geht es immer auch um die eigenen Baustellen: „Ein Stück Selbsterfahrung ist natürlich dabei. Auch Berater kommen mal in Krisen“, so Brigitte Gahr.

Gisela Potisch und Rainer Bylitza schätzen die facettenreiche Aus- und Weiterbildung sehr: „Ich profitiere in hohem Maße von dem was ich hier lerne und erlebe“, erklärt der 48-Jährige Vater zweier Töchter. Schließlich werden am Telefon keine Abstrakta verhandelt. Es sind Geschichten, Sorgen, Krisen, die das Leben so schreibt: „Dinge, die man auch am Arbeitsplatz oder in der Familien erlebt.“ Seine Kollegin nickt: „Man zieht das ja nicht einfach aus, wie eine Jacke, wenn man hier zu Tür rausgeht. Von daher denke ich, dass wir auch in der Gesellschaft gute Multiplikatoren sind für das, was wir hier lernen und vermitteln.“

Es gibt gute und schlechte Momente, solche, in denen Hilfe fruchtet, und Gespräche, die nachhallen: „Ein Telefonat mit einer jungen Frau, die im selben Alter war wie meine Tochter, das hat mich sehr mitgenommen“, gesteht Gisela Potisch. Auch in dieser Situation hat der Austausch mit Kollegen und Mentoren ihr Halt gegeben.

Gerade jetzt, um die Weihnachtszeit, wenn Einsamkeit oder Krisen in den Familien plötzlich stärker ins Bewusstsein rücken und zur seelischen Belastung werden, sind die Dienste der Telefonseelsorger gefragt. Und so werden die Ehrenamtlichen auch über die Feiertage zu erreichen sein: 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche.