Marl. . „Miteinander feiern, voneinander lernen“: Bei der Begegnung von Schülern und Seniorinnen im Marler Café Anker verfliegt die Schüchternheit im Nu.
Es sind zwei Welten, die da aufeinander treffen. Auf der einen Seite sitzen die Seniorinnen. Und auf der anderen die Berufsschüler, zwischen 16 und 23, mit Piercing an der Lippe, knappem Mini-Rock oder ins Gesicht hängenden Haaren. Aber das Miteinander, das funktioniert an diesem Tag richtig gut. Die jungen Leute sind im Café Anker an der Dreifaltigkeitskirche zu Gast, weil sie den Umgang mit den Senioren lernen sollen.
„Miteinander feiern, voneinander lernen“ heißt das Generationen-übergreifende Projekt, das die Gemeinde und das Herwig-Blankertz-Berufkolleg bereits zum sechsten Mal durchführen. Der erste Kontakt fand schon vor ein paar Wochen statt. Aber trotzdem sind die Schülerinnen und Schüler noch nervös, als sie das erste Mal „richtig“ mit den Damen umgehen müssen, ihnen zu Tisch helfen, ihnen Kaffee und Plätzchen reichen und immer wieder nach dem Rechten sehen und fragen. „Aufregung, Angst“, beschreibt die 20-jährige Lily ihre Gefühlslage, und überhaupt: „Man macht sich selber verrückt vorher.“ Aber die Nervosität lege sich. „Die Seniorinnen sind anfangs auch schüchtern, aber nett“, sagt Schülerin Sarah (20). Überhaupt zeigen die jungen Leute nach einiger Zeit keine Berührungsängste mehr, im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn das Programm, das sich die Schüler zusammen mit ihrer Klassenlehrerin Sabine Weber erdacht haben, sieht eine „Plätzchen-Massage“ vor. Dabei wird erzählt, wie Plätzchen gebacken werden, und die entsprechenden Bewegungen werden auf dem Rücken einer Person ausgeführt -- wie ein sanftes Streichen für das Säubern des Bleches oder das Kneten des Teiges.
Bei einem zweiten Treffen im Frühjahr wird das Wissen der Älteren in Sachen Kochen und Backen im Mittelpunkt stehen. Denn im Frühjahr werden sie die Berufsschule besuchen und dort nach alten Rezepten mit den Schülern kochen. Doch heute dürfen sich die Damen unterhalten lassen, von Weihnachtsliedern, von einer Handmassage, von lustigen bis ernsten Gedanken zum Advent und einem Sitztanz zu „In der Weihnachtsbäckerei“. Viele Ideen, die bei den Seniorinnen gut ankommen. „Die machen das sehr gut“, lobt die 91-jährige Erna Schmidt, und ihre Tischnachbarin Hannelore Schewe, 81 Jahre alt, ergänzt: „Die kommen auf uns zu, von Angst hab’ ich nichts gemerkt.“
Dabei ist der Nachmittag für die Schüler die erste professionelle Begegnung mit alten Menschen. „Eine Lernsituation“, sagt Lehrerin Sabine Weber, mit mehrwöchiger – schwieriger – Vorbereitung. „Die Schüler brauchen sehr viel Anschub“, so die Lehrerin, und bei der Generalprobe habe fast nichts geklappt. „Aber jetzt geht mir das Herz auf“, sie erlebe die jungen Leute plötzlich von einer ganz anderen Seite. „Das bringt sie voran“, sagt Weber. Und freut sich schon auf das Feedback im Unterricht und den Gegenbesuch der Seniorinnen. „Bisher waren immer alle total begeistert“, erzählt die Klassenlehrerin. Pfarrerin Kirsten Winzbeck kann ihr da nur zustimmen: „Das ist jedes Jahr ein ganz toller Nachmittag.“