Vest. Oer-Erkenschwick will ungewöhnliche Wege in der Sozialarbeit gehen und Eltern finanziell belohnen, die ihre Kinder zur rechten Zeit zur Schule schicken. Die Bonus-Karte ist in anderen Kreis-Städten kein Thema.

Wenn Eltern in der Stimbergstadt künftig vier Wochen lang ihre Kinder pünktlich wecken und in die Schule schicken, gibt es einen Bonus. Wenn sie täglich das Essen auf den Tisch bringen auch. Und wenn sie in der VHS sich zusätzlich noch darüber informieren lassen, wie Erziehung optimiert werden kann, gibt's ebenfalls Punkte.

Dies fein säuberlich auf einer Karte abgestempelt, kann bis zu 100 Euro bringen. Das Jugendamt der Stadt will neue, ungewöhnliche Wege in der Sozialarbeit gehen und ökonomische Mechanismen ausprobieren. Bestimmte Eltern sollen mit finanziellen Anreizen in ihrem Erziehungsauftrag unterstützt werden. Rund 25 000 Euro sollen dafür zur Verfügung gestellt werden. Vorausgesetzt das Land beteiligt sich an den Kosten für die sozialpädagogische Bonuskarte. Rund 100 Familien kämen in der Stimbergstadt für dieses Pilotprojekt in Frage. Ob dies funktioniert? Stadtjugendpfleger Michael Hess: „Wir wollen es auf jeden Fall versuchen. Es ist ein Test.”

Herangehensweise wie in der Wirtschaft

In Gesprächen mit Schulleitern kam immer wieder heraus, dass die Eltern, die es angeht, nicht erreicht werden. „Da haben wir uns gefragt, wie die Wirtschaft Dinge regelt”, sagt Hess. Eben mit Rabatten und Bonuskarten. „Es ist klar, dass dies nicht die Probleme löst. Wir hoffen aber, dass Eltern damit motiviert werden könnten.” Auch kaufmännisch könnte sich die Bonuskarte rechnen. Michael Hess: „Die Kosten für einen Monat Heimunterbringung liegen zwischen 3.000 und 8.000 Euro. Die Bonuskarte kostet 100 Euro.” Ausgegeben werden soll diese von Schulen, Kindergärten und vom Jugendamt.

Finanzielle Anreize für Eltern, damit sie ihren Aufgaben nachkommen – in anderen Städten des Vestes ist das bisher kein Thema. „Wir sehen das so, dass es die selbstverständliche Pflicht der Eltern ist, ihr Kind zur Schule zu bringen”, sagt Rainer Kohl, Sprecher der Stadt Marl. Allerdings will er dies nicht als Kritik an den Überlegungen der Oer-Erkenschwicker verstanden wissen. „Es kann durchaus Sinn machen, diesen Weg zu gehen.” In Marl gebe es Beratungs- und Hilfsangebote wie zum Beispiel ein Projekt für schulmüde Kinder aus den sechsten und siebten Klassen.

Dabei betreuen Sozialarbeiter derzeit 15 Schüler in der Schule, um die Motivation der Kinder zu fördern. Eine Eskalationsstufe weiter setzt ein weiteres Marler Projekt an, das sich um Schulverweigerer der neunten und zehnten Klassen kümmert. Diese werden außerhalb der Schule unterrichtet, derzeit sind es zwölf Jugendliche, „und die Erfahrung in den letzten Jahren zeigt, dass relativ viele die Kurve Richtung Berufstätigkeit kriegen”, sagt Rainer Kohl.

In Herten nicht angedacht

Eine Bonus-Karte für Eltern ist auch in Herten nicht angedacht, so Stadtsprecherin Nele Däubler. Hier setzt die Jugendhilfe andere Akzente: So gab es die Aktion Point-Pass, bei der Kinder Punkte sammeln konnten für gesunde Aktivitäten und auch eine Belohnung erhielten. Oder die Stadt bietet ein Anti-Aggressions-Training für Jungen an. Wenn Jugendliche schwierig und auffällig seien, „sind der Knackpunkt ja meist die Eltern”, so Nele Däubler, „wenn man die dazu bringt, sich frühzeitig Hilfe zu suchen, wäre viel gewonnen”.

In Datteln wartet man die Entwicklung ab. Stadtsprecher Dirk Lehmanski: „Diese Maßnahme müsste erst vor dem rechtlichen Hintergrund geprüft werden. Wir werden das aber auf jeden Fall mit großem Interesse beobachten.”

Rückgriff aufs Kindergeld

Eine Bonus-Card für Eltern? Mit dem Recklinghäuser Sozialdezernenten Georg Möllers (CDU) sprach WAZ-Redakteur Ernst zur Nieden.

Ein Modell für Ihre Stadt?

Georg Möllers: Nein. Ich halte das für ein falsches Signal. Mir drängt sich spontan die Gegenfrage auf: Und was kriegen Eltern, deren Kinder seit Jahren jeden Morgen pünktlich zur Schule kommen?

Also wollen Sie alles den Eltern überlassen?

Möllers: Das ist auch keine Lösung. Es gibt ja Fälle, in denen Eltern ihren Verpflichtungen gegenüber den Kindern nicht nachkommen. Dann bieten wir konkrete Unterstützung wie etwa Erziehungshilfe an. Das Spektrum geht ja so weit, dass Kinder aus der Obhut ihrer Familie herausgenommen werden können.

Reichen diese Möglichkeiten denn aus?

Möllers: Wir sind als Kommunen schon sehr lange mit Land und Bund im Gespräch darüber, dass es keine Möglichkeiten gibt, auf staatliche Transferleistungen zuzugreifen.

Was meinen Sie damit?

Möllers: Der Staat greift, wie gesagt, ein, wenn Eltern versagen. Aber an das Kindergeld traut er sich nicht heran. Das wäre aber sinnvoll, wenn zum Beispiel nachgewiesen ist, dass Eltern dieses Geld eben nicht ihren Kindern zugute kommen lassen, sondern es anderweitig verwenden.

Was habe Sie für dieses Ziel unternommen?

Möllers: Wir haben in zahlreichen Stellungnahmen an Bund und Land mehrfach auf die bestehenden Probleme hingewiesen und die Forderung nach Rückgriff auf das Kindergeld erhoben.

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