Herten. .
Der Fall ist nicht einfach und die Fronten sind verhärtet. Das Jugendamt der Stadt hatte im April aus einer Familie fünf Kinder im Alter von seinerzeit fünf Monaten bis sechs Jahren heraus und in seine Obhut genommen. Der Vorwurf wiegt schwer. Kinder sollen in der Familie geschlagen und verletzt worden sein. Das Tauziehen um das Kindswohl begann. Gestern demonstrierte die Familie Dag samt Freunden, Unterstützern und Bekannten vor dem Rathaus an der Kurt-Schumacher-Straße. Es geht ihnen darum, auch das fünfte Kind wieder zurück zu bekommen.
Vier Kinder hatte das Jugendamt am vergangenen Freitag bzw. Samstag nach fünf Monaten wieder in die Obhut der Familie gegeben. Nicht freiwillig. Die Eltern hatten eine richterliche Verfügung erwirkt. Das Gericht sei damit einer Gutachterin gefolgt, die gegen die Rückkehr für vier der fünf Kinder in die Familie keine Bedenken hatte.
„Wir haben Beschwerde gegen das Urteil eingelegt“, sagte gestern Stadtsprecherin Nele Däubler. Mit dem Fall werde sich nun das Oberverwaltungsgericht befassen müssen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sei die Verwaltung, so die Sprecherin, festen Willens alle Rechtsmittel auszuschöpfen. Es gebe schwerwiegende Vorwürfe, die großen Anlass zur Sorge um das Kindswohl geben. Weitere Einzelheiten könne die Stadt aus rechtlichen Gründen öffentlich nicht nennen.
Dies aber tut der Vater der Kinder, der öffentlichen Druck macht. Seine Kinder seien der Familie zu Unrecht fünf Monate lang vorenthalten worden. „Und dies nur auf Grund von Unterstellungen.“ Beweise gebe es nicht für den Vorwurf der Misshandlung, erklärte die Familie gestern.
Demnach sei das Jugendamt der Stadt durch ein Krankenhaus, in dem eines der Kinder behandelt werden musste, informiert worden. Eines der Kinder hatte Kopfverletzungen erlitten. Ein weiteres habe einige Zeit zuvor zahlreiche blaue Flecken aufgewiesen. Einer türkischen Zeitung gegenüber erklärte er, die Haushaltshilfe des Jugendamtes habe das Kind misshandelt. Den Beteuerungen, es habe sich bei der Kopfverletzung um einen Unfall gehandelt – der 18 Monate alte Sohn sei mit einem Fruchtsaftglas in der Hand auf den fünf Monate alten Säugling gestürzt – sei kein Glauben geschenkt worden. Die Familie Dag fühlt sich durch die richterliche Anordnung in ihrer Haltung bestätigt, dass die Kinder in die Familie gehören.
Anfang des Jahres habe es erste Hinweise beim Jugendamt gegeben. Zunächst habe man mit den üblichen Instrumenten versucht, die 28 Jahre alte, fünffache Mutter zu unterstützen. Familienbesuche, Haushaltshilfe, kurz: das ganze soziale Hilfsprogramm. Im April dieses Jahres entschloss sich das Jugendamt zu dem drastischen Schritt und holte die Kinder aus der Familie. Sie wurden in Pflegefamilien und Wohnhäusern untergebracht.
Familienvater Abdullah Dag setzte alle Hebel in Bewegung, bis hin zu den juristischen. Der Ton zwischen Eltern und Jugendamt wurde im Verlauf rauer. Verhinderung von Integration wurde der Stadt Herten vorgeworfen. Im Zuge der Auseinandersetzung kam es auch zu einem tätlichen Übergriff auf einen Mitarbeiter im Jugendamt durch den Vater, der notfalls für seine Sache bis vor den Gerichtshof für Menschenrechte ziehen will.
Hilfe steht oben an
Von der Möglichkeit, Kinder aus den Familien zu holen, weil ihr Wohl gefährdet ist, wird relativ wenig Gebrauch gemacht. Im letzten Jahr traf dies in Herten auf fünf Kinder aus verschiedenen Familien zu. Hilfen und Unterstützung in der Bewältigung des Familienalltags stehen an oberster Stelle, wie die Zahl aus dem letzten Jahr auch zeigt. Das hat zum einen den Hauptgrund, dass Kinder im Familienverbund besser aufgehoben sind und zum anderen auch einen finanziellen Grund. Eine Unterbringung in Heimen kann den Hertener Steuerzahler locker über 100 000 Euro pro Kind und Jahr kosten.