Recklinghausen. . 875 Hilfesuchende wendeten sich 2010 an die Telefonseelsorge in Recklinghausen. Für die LeiterinGunhild Vestner und ihre 86 Kollegen gehören Gespräche über den Freitod zum Alltag. Am Samstag, 10. September, ist Welttag der Suizidprävention.
Für Gunhild Vestner (52), Leiterin der Telefonseelsorge in Recklinghausen, und ihren 86 ehrenamtliche Kollegen gehören die Gespräche über den Freitod zum Alltag. Tag für Tag oder besser gesagt Nacht für Nacht müssen sie sich den Sorgen, Ängsten und der Verzweiflung von Menschen stellen. 875 Mal allein im letzten Jahr. Am Samstag, 10. September, ist Welttag der Suizidprävention. Grund genug für das Telefonseelsorgeteam, sich dem Thema ausführlicher zu widmen.
Der Wunsch aus dem Leben zu scheiden, ist nach wie vor hoch, weiß die 52-Jährige aus ihrer Erfahrung zu berichten. Sorgen in der Familie und vor allem partnerschaftliche Konflikte nähren immer wieder Todessehnsüchte. Sie stehen weiterhin als Hauptgründe oben an. „Doch im Laufe der vergangenen Jahre haben auch psychische Erkrankungen und Depressionen erheblich zugenommen“, sagt Gunhild Vestner.
Seit 2008 arbeitet die Telefonseelsorge Recklinghausen auch in der Chatseelsorge im Internet. Gunhild Vestner: „Vor allem junge Frauen wenden sich über dieses anonyme Medium mit ihren Sorgen und Ängsten an uns.“ Das Thema Selbstmordgedanken sei nach wie vor ein Tabu behaftetes. Durch den Chat (ein anonym geführtes Gespräch, das schriftlich im Internet geführt wird) der Telefonseelsorge wird es noch häufiger angesprochen: 2010 ging es in jedem fünften Chat um Suizid. „Depression schickt sich an Volkskrankheit Nummer eins zu werden“, so die 52-Jährige.
Die Zahl der Suizidgespräche (875) in Recklinghausen liegen vergleichbar auf einem deutlich höheren Niveau als in anderen Kreisen. Dies sei aber nicht darauf zurückzuführen, dass die Menschen in Recklinghausen und Umgebung besonders selbstmordgefährdet seien. Es habe sich vielmehr herum gesprochen, dass sich die Mitarbeiter der Telefonseelsorge nicht nur speziell vorbereitet sind, sondern auch ein Netzwerk für die Hilfe aufgebaut haben. „Wir haben die Zusammenarbeit mit Psychiatrie und Beratungsstellen intensiviert und können über den Anruf hinaus Hilfen anbieten.“ Außerdem sind die Kontaktdaten der Telefonseelsorge immer häufiger in den Notfallkoffern von gefährdeten Menschen zu finden.
In den Schulungen lernen Mitarbeiter der Telefonseelsorge, die Suizidgedanken offen anzusprechen, keine Warum-Fragen zu stellen und die verzweifelte Situation des Anrufers anzuerkennen. So förderten sie die Beziehung und das Vertrauen in dieser Begegnung. Gunhild Vestner: „Sie können den suizidalen Menschen nicht vom Suizid abhalten; auch das wird offen angesprochen. Dadurch kann sich die Begegnung entspannen, denn die Telefonseelsorgerin muss nicht retten und der Anrufer muss sich nicht einer Rettung verweigern.“ Das Gespräch mit einem suizidgefährdeten Menschen gehöre zu den großen Herausforderungen für jeden in der Telefonseelsorge. „In der Regel wissen wir nicht, wie es nach dem Gespräch weitergeht.“ Aber oft melden sich Anrufer nach Wochen, berichten über ihr Schicksal oder danken für die Hilfe. Und dies sei Dank und Motivation für die Mitarbeiter zugleich.