Vest. Auch Noch-nicht-Lehrlinge zählen zur „Generation Praktikum“. Trotz positiver Trends fehlen Ausbildungsplätze im Vest.
Gibt es sie oder gibt es sie nicht? Der Begriff „Generation Praktikum“ ist seit seinem Auftauchen im Jahr 2005 umstritten. Er beschrieb vor allem die Situation junger Akademiker, die nach dem Studium ein unbezahltes Praktikum nach dem anderen absolvierten.
Wie sieht die Situation bei Schulabgängern aus? „Grundsätzlich vermittelt die Arbeitsagentur in Ausbildung, nicht in Praktika“, sagt Matthias Erfmann, Sprecher der Agentur Recklinghausen. Die Agentur rate jeder Firma auszubilden. Da arbeiteten Berufsberatung und Arbeitgeberseite eng zusammen, „um jungen Menschen das Optimum zu bieten“. Gleichwohl lehnt die Arbeitsagentur Praktika nicht grundsätzlich ab.
„Ferien- und Schulpraktika sind ein wesentlicher Bestandteil der Berufsvorbereitung.“ Junge Menschen erhielten Einblick in das Berufsbild und knüpften Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern. Die Erfahrung lehre, dass es wichtig sei, wenn beide Seiten, sowohl der Schulabgänger als auch die Firma, einen Eindruck voneinander gewännen. „Ein Praktikum liefert wichtige Zusatzinformationen, die eine Entscheidung für den Beruf beeinflussen können“, so Erfmann. Manchmal sei ein Praktikum aussagekräftiger als Zeugnisnoten. Über Zahlen zur Vergütung der Praktika verfügt die Arbeitsagentur nicht. Das sei eine Vereinbarung zwischen dem Praktikanten und dem Arbeitgeber.
Praktika sind wohl die einzige „Bildungsform“, die der umfassende erste Bildungsbericht Kreis Recklinghausen auf seinen 100 Seiten nicht beleuchtet. Dafür bietet die Fleißarbeit aus dem Kreishaus – über den saisonalen Aspekt hinaus – eine bündige Einordnung der Ausbildungssituation insgesamt: Tendenz positiv.
So war der Agenturbezirk Recklinghausen im weltweiten Krisenjahr 2008/09 der einzige im Ruhrgebiet, der keinen Einbruch an der Zahl der Ausbildungsplätze erlitt. Im Jahr 2009/10 (dem aktuellsten im druckfrischen Bildungsbericht) war der Agenturbezirk mit einem Lehrstellenplus von 5,3 Prozent sogar Spitzenreiter im Ruhrgebiet. Die Gegenseite der Medaille weist zurück in die 1990er Jahre: Damals ging im Kreis Recklinghausen jeder vierte Ausbildungsplatz verloren. Auch in der Gesamtbilanz der letzten zehn Jahre ist noch ein Rückgang zu verzeichnen. Die Schere zwischen Lehrstellen-Suchenden und dem Angebot an Ausbildungsplätzen ist also längst nicht geschlossen: Dafür fehlen immer noch mehr als 2000 Lehrstellen.
Die Ausbildungs-Betriebe bleiben so gesehen in der privilegierten Position – und dürfen wählerisch sein. Für den vestischen Kreis als Träger der Berufskollegs (mit Ausnahme dreier privater) bedeutet dies: Die Hilfen des beruflichen Übergangssystems sind nach wie vor nötig. Wörtlich: „Im Kreis haben Jugendliche immer noch besondere Probleme, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Trotzdem ist das Übergangssystem hier nicht ausgeprägter als in den Nachbarstädten.“
Der Bildungsbericht zitiert sogar die bösen Worte vom „Förderdschungel“ und „Warteschleifen“-System – um deutlich zu machen: Es geht (noch) nicht ohne. Wenn in bereits acht oder neun Jahren die Zahl der Schulabgänger nur noch 78 Prozent der heutigen Absolventen beträgt – spätestens dann dürften „Azubis“ begehrte Mangelware sein.