Recklinghausen. . GMD Heiko Mathias Förster dirigiert für Mahlers „2.“ ein Großaufgebot an Musikern und Chorstimmen
Die Gelegenheit ist rar. Gustav Mahlers 2. Sinfonie verlangt einen derart großen „Apparat“ an Musikern und Chorstimmen, dass nur ein Orchester von der Größe der Neuen Philharmonie Westfalen sich dieses Werkes überhaupt annehmen kann.
So hätten Generalmusikdirektor Heiko Mathias Förster und alle Mitwirkenden eigentlich ein ausverkauftes Ruhrfestspielhaus erwarten können. Leider war’s nicht so; doch der Enthusiasmus des Publikums nach der 90-minütigen Aufführung war umso größer: „Bravo“-Rufe und stehende Ovationen dankten für eine große, wenn auch nicht perfekte Aufführung.
Schließlich mussten die nahezu komplette NPW und die Sängerinnen und Sänger aus fünf Chören von Gelsenkirchen bis Schwerte die gesamte Tiefe des Bühnenraums nutzen, um überhaupt Platz zu finden. Heiko Mathias Förster dirigierte vor allem die auch für Stimmen komponierten Sätze Vier und Fünf mit besonders „großen“ Gesten. Und doch waren die vielen Stimmen aus der Tiefe des Raums hinter der delikat entfesselten Orchester-Gewalt leider nur dumpf zu vernehmen.
Mit einem dunklen Thema für Celli und Kontrabässe eröffnet der 20-minütige erste Satz dieser „Auferstehungs-Sinfonie“. Der schwere Schritt eines Trauermarsches bestimmt die Grundstimmung, unterbrochen von etlichen leichteren Momenten. Die sind angesichts des enormen Klangkörpers anrührend feinsinnig gestaltet. Harfe und Hörner sorgten für solche Augenblicke der Innigkeit. In ihrer teils heftig pulsierenden Streicher-Motorik allerdings schien Mahlers „2.“ schon voraus zu weisen auf die epochalen Werke Strawinskys.
Dieses Füllhorn der Orchestrierungskunst bereicherte auch die beiden folgenden Sätze. Der Zweite eröffnete als „Ländler“ mit einem tänzerischen Idyll: Mahler kann auch mit Schlichtheit beeindrucken. Im dritten Satz entdecken Musikhistoriker einige Anleihen aus jüdischer Folklore, die vor allem Holzbläser mit kleinen Soli glänzen lassen. Als „Verzweiflungsschrei“ bezeichnete Mahler selbst die ungeheure Dynamik, die sich zum Ende des Satzes „attacca“ aufbaut.
Einen ähnlichen Tutti-Schock liefert auch der vierte Satz. Doch zunächst mussten die vereinten Chöre Aufstellung nehmen – um dem mit Zurückhaltung gestalteten Altsolo von Lucia Duchonova zu lauschen. Die ganz großen Auftritte sind’s nicht, die Mahler für die beiden Gesangs-Solistinnen komponiert hatte.
Brillanter erhob sich die Stimme der Sopranistin Eva Hornyakova vor dem Hintergrund des Chores im fünften Satz, „Auferstehung“ überschrieben. Dieser fast halbstündige letzte Satz hat die Dimension einer kompletten Sinfonie der Wiener Klassik – und scheint in seiner Fülle die Entwicklung der Orchester-Musik während des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen.
Die Anweisung an den Chor, zum tosenden Finale samt Glockenschlägen „mit höchster Kraft“ zu singen, kam im Festspielhaus allerdings nur dünn an. Allein die Klanggewalt der NPW wirkte. Hier erreicht die Akustik eines Theaterraums wohl ihre Grenzen. Dennoch würdigten die Zuhörer begeistert das Erlebnis eines so großes Werkes. Nur Mahlers bombastische „Sinfonie der Tausend“ ist – wenn nicht gerade ein Kulturhauptstadtjahr ansteht – noch seltener zu erleben.