Recklinghausen. . Katja Riemann und Gitarrist Arne Jansen bringen Rammstein ohne Schwulst
Die Fahne in Schwarz-Rot-Gold ist ein lustiges Patchwork. Darunter drapiert ein Vielerlei aus Gitarren, Klavierhocker ohne Klavier, Melodica und Kinder-Metallophon. Katja Riemann und Arne Jansen, der Gitarrist, möblierten sich ein kleines Geviert auf der großen Bühne des Ruhrfestspielhauses.
„Friedensreich. Ein Doitschlandabend“ heißt der musikalische Vormittag, der letzte in der Reihe der sechs Lesungen der ausklingenden Ruhrfestspiele. Prosatexte von Sibylle Berg verbindet das Duo mit der – nun, ja – „Lyrik“ des Rammstein-Sängers Till Lindemann. Das Publikum war neugierig auf diese zunächst alles andere als apart wirkende Kombination. Oder war es doch eher neugierig auf Katja Riemann?
„In öder Verzweiflung“
Sie sprach charmant lächelnd viele Bosheiten, hatte ihre Zuhörer prompt um den Finger gewickelt – schon mit dem hübschen Einstiegs-Satz: „In öder Verzweiflung geht man ins Theater.“ Den schrieb, wie die anderen gekonnten Streiche, Sybille Berg. Die Wahl-Zürcherin aus Weimar, zeigte sich in dieser Textauswahl als Meisterin der kleinen Form und der giftigen Pointen.
Da mochte das Duo Riemann/ Jansen ruhig Rammstein-esk grollende Bass-Effekte ins Lied „Zerstören“ mischen: die so harmlos vorgetragenen Beobachtungen der 49-jährigen Bühnen- und Roman-Autorin und Feuilletonistin klingen allemal gefährlicher als das überbetonte „Rr“, mit dem die Riemann so niedlich spielte.
Den krachenden Schwulst der stets Skandal-bemühten Kapelle hatten die beiden auf der Bühne gekonnt entkitscht. Arne Jansen gebietet bei aller Zurückhaltung als Jazz-Gitarrist lässig-souverän über alle Klangfarben zwischen zwitscherndem Swing und gelegentlichem Schwermetall-Donner. Und als erstklassige Sängerin hatte sich Katja Riemann schon auf mehreren Alben bewiesen.
So wurde aus der „Erlkönig“-Variation ein Blues, den die Sängerin im Kleinen Schwarzen auf dem Mini-Metallophon begleitete. So wurde die Reise im Liegewagen nach Paris („Der Zug heißt Rammstein oder Götterdämmerung, was aufs selbe hinaus läuft“) ein kabarettistisches Kleinod.
„Theater ist kathedral!“
Mittenmang brachte die gelegentlich kurz berlinernde Bremerin Bert Brechts Vorschlag für eine neue Nationalhymne – „wurde abgelehnt, wie schade“. Deutsche Befindlichkeiten beschreibt Sibylle Berg in etlichen Facetten, stets Pointen-gespickt – und sei’s der Selbsthass der Ex-Journalistin: „Der Atem des Schreibenden ist das Leben – der Anderen.“ Besonders gut passte zum Schluss der 65. Ruhrfestspiele ihre Betrachtung eines Premierenabends aus wechselnden Perspektiven – des Autors, des Regisseurs („Er wird es ihnen zeigen!“), des schlussendlich erstochenen Schauspielers und der Zuschauerin Erika: „Theater ist kathedral!“
Katja Riemann spielt – als Sängerin wie als Sprecherin – stilsicher mit ihrer höchst variablen Stimme: von mädchenhaft bis böse-böse. „In dir ist auch das Böse gut“, singt sie mit Rammstein. Stimmt, ein bisschen. Diesem Lied zur Melodica, das wie einige andere der anderthalb Stunden aus dem groben Rammstein-Klotz zartherbe Romantiker heraus kitzelt, folgt auf hohen Absätzen die Berg’sche Satire vom todesmutigen Besuch einer Luxus-Boutique.
„Unsere kurze Daseinsfrist macht nur Spaß, wenn man böse ist.“ Tja, wenn die Bosheit immer mit soviel gekonntem Witz daher käme . . .