Recklinghausen. .

„Der Mensch ist mehr als seine Arbeit.“ Als Charles liest Wolfram Koch seinen Text wie sediert – und für den matten Ton sorgt sicher nicht die dunkle Gangster-Strumpfmaske. „Der Mensch ist Kampf.“

Nach den Proben in Luxemburg spielt das siebenköpfige Ensemble Albert Ostermaiers „Aufstand“ nun im Recklinghäuser Ratssaal – und Regisseur Frank Hoffmann wechselte vorgestern auf alle Zu­schauer-Positionen, um die heikle Akustik auszuloten. „Es gibt auch ein zu laut, haben wir erstaunt festgestellt“, erzählt Udo Wachtveitl, der „Trotzki“ dieser Rathaus-Eroberung.

Charles und Carlos, gespielt von Luc Feit, sind offensichtliche Verweise auf Friedrich Schillers „Räuber“ Karl Moor. Der 41-jährige Autor sieht den zornigen Klassiker als „einen Resonanzboden“ seines Werkes. Der Münchner hatte „das Glück und die Bürde“, als Mannheims erster Theater-Dichter nach Friedrich Schiller engagiert worden zu sein. „Die Schiller-Zitate sind auch dort, wo Sie sie nicht vermuten würden.“ Denn es gibt noch eine andere Quelle dieser „Räuber“-Variation: Das anarchistische Pamphlet „Der kommende Aufstand“. Wolfram Koch, der Theaterpreisträger 2011, sagt: „Der Text machte in Frankreich Furore. Die Mächtigen haben wirklich Angst davor.“

Ostermaiers Aufständische sind Terroristen des Wortes. „Ich schattiere das Böse mit Gutem und das Gute mit Bösem“, sagt Steve Karier als Mirror – der Einzige der Fünf, der zu Waffengewalt anstachelt. „Natürlich denkt man an die RAF“, sagt Ostermaier und lächelt: „Mit deren Texten wäre es viel schwieriger gewesen.“ Für Frank Hoffmanns Fassung des „Aufstand“-Textes ist dies ein bedeutender Aspekt: Frankreichs Anarchisten streiten in brillanten Worten – die sich hier und da mit Schiller messen können.

„Das Publikum muss keine Angst haben vor langweiligen politischen Reden“, versichert der Intendant der Ruhrfestspiele. „Die Gruppe mordet mit Texten“, sagt Wolfram Koch. „Es bleibt im Dampfkochtopf der Gedanken“, sagt Udo Wachtveitl, „aber der Deckel hebt sich nicht“.

Das gilt fast bis zum Schluss für die unheilvoll brodelnde Gruppendynamik. Jacqueline Macaulay (als April die einzige Frau unter den Fünf) verweist als Beispiel auf das Zersplittern von Wiki­leaks: „Das sind ganz tiefe Verletzungen in der Gruppe.“ Die dampfende Vermengung des Politischen und des Privaten sieht sie „in unserem Text als roten Faden“.

Steve Karier – dessen Mirror sich selbst „der Schläger, der Proll, der Verdächtige“ nennt – betont, dass Ostermaiers Text „keine seiner Figuren lächerlich macht“. Das gelte auch für die beiden Ermittler (Ulrich Kuhlmann und Anne Moll), die einen Verräter in die Gruppe geschleust haben. „Es wird auch ein Bekenntnis zum Verrat geben“, verrät Udo Wachtveitl. Nur wie das Drama auf sein überraschendes Ende vorausweist – das wollte Frank Hoffmann gestern noch nicht erzählen. „Wir freuen uns über die Macht der Sprache.“