Marl. .

„Der Grimme-Preis ist der einzige Leuchtturm, der Marl blieb.“ Dr. Ulrich Spies nennt Marl seine Heimatstadt, er nennt sie aber auch „einen Bettler“ in ihrem heutigen Zustand – nach den Jahrzehnten der Prosperität.

Der Referent für den Grimme-Preis (und mit 30 Berufsjahren auch Dienstältester im Grimme-Institut) bekennt sich als Skeptiker des 75. Stadtgeburtstages: „Ein solches Jubiläum ist für mich ein bisschen schillernd.“

Mit dem Wort vom „Leuchtturm“ hat der 63-Jährige wohl recht. Trotz Marler Debüts und der Medienpreise des „Glaskastens“: die bundesweite Ausstrahlung des Grimme-Preises erreichen beide nicht.

„Ausstrahlung“ passt schön zum Metier des Fernseh-Kundigen, der zum Institut kam, als TV-Sendungen noch „ausgestrahlt“ wurden, die Dritten noch als „Bildungs-Programme“ galten – und die Privaten? Die gab’s noch gar nicht.

„Die Privaten gaben auch viele Impulse“, sagt Ulrich Spies diplomatisch. Dennoch markiert ihr Start für ihn eine Zäsur, die Fernsehen „vom Kulturgut zur Ware degradierte“. Bange um die Zukunft des Grimme-Preises macht’s ihn nicht: „Qualität ist noch jede Menge da, dass unsere Juroren nicht arbeitslos werden – aber sie muss entdeckt werden.“

Für die Pioniere der TV-Wertschätzung war’s 1963 einfacher, die Übersicht zu behalten. Als Marls „insel“- Gründer Bert Donnepp die erste Jury für den „Fernsehpreis des Deutschen Volkshochschul-Verbandes“ zusammen stellte, nahm das ZDF gerade den Sendebetrieb auf. Im Sommer 1963 starb Adolf Grimme, der erste Intendant des NWDR. „Für Donepp war Grimme die Figur des Fernsehens“, so Ulrich Spies.

Fast bis zur Pensionierung des „insel“-Gründers 1979 bestand das Grimme-Institut „aus dem Schreibtisch von Bert Donnepp im Marler Rathaus“. Ulrich Spies, der Abiturient des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, hatte es in dieser Zeit nach dem Studium in Göttingen („wie Donnepp und Grimme“) nach Berlin gezogen. Der Sozialwissenschaftler arbeitete an seiner Promotion über das zeitlos aktuelle Thema Integration. Ein besonderes Souvenir belegt Spies’ frühe Medien-Leidenschaft: der wuchtige Fernschreiber im Rollschrank-Gehäuse stammt aus der Konkursmasse der alten Constantin-Film AG.

Und doch sagt Ulrich Spies, „ich habe lange mit mir gerungen“ – ehe er vor 30 Jahren dem Ruf als Referent für den Grimme-Preis folgte. „Ich dachte im Traum nicht, dass es mein Lebenswerk würde.“ In der durchaus wechselhaften Historie des Instituts verkörpert der gebürtige Siegener die Konstante: sechs Institutsleiter sah er kommen, fünf gehen. Uwe Kammann, Chef seit 2005, und Ulrich Spies „wollen gemeinsam nach dem 50. Grimme-Preis 2014 das Institut verlassen“.

An der Instituts-Spitze er­lebte Spies Pädagogen und „Vollblut-Journalisten“ und Lutz Hachmeister als damals 29-jährigen Youngster. „Von ihm habe ich viel gelernt“, sagt der Ältere. Spies hatte sich aber nach Kräften gewehrt, als der Grimme-Preis, so ein Planspiel der 1990er, nach Köln umziehen sollten.

„Den Preis kann man hier nicht ‘rausreißen, ohne dass er sich verändert,“ sagt der Marler – und meint: ohne dass die Unabhängigkeit Schaden nähme. „Das Klösterliche“ des baumumstandenen Instituts sei kein Nachteil, sondern Vorzug. Zum schlichten „Kloster“ aus Glas und Backstein passt dann auch eine Lieblingsformel von Spies: die „Aura des Preises“. Sie ist sogar zu greifen – im zeitlosen Design der silbernen „Grimmes“.