Waltrop. .

Es war genau einen Tag nach meinem achten Geburtstag, als in Tschernobyl der Reaktor des Kernkraftwerks explodierte. Von dem Ereignis selbst bekam ich nichts unmittelbar mit.

Auch verstand ich nicht wirklich, was die Tagesschausprecher dort mit ernster Miene von ihren Textblättern ablasen. Was ich aber verstand, war das Verbot, auf dem Spielplatz zu spielen. Jeden Tag verfolgten die Eltern im Fernsehen die Bewegung der radioaktiven Wolke, die sich ihren Weg über die DDR, Polen oder auch Finnland bahnte.

Sieben Tage lang behielt meine Tagesmutter ihre Tochter und mich in der Wohnung. Bis sie uns und unseren Bewegungsdrang nicht mehr ertrug. Also wurden wir zu dem nur wenige Minuten entfernten Spielplatz gebracht, wo wir uns eine Stunde lang richtig austoben konnten.

Wieder zu Hause wurden wir wiederum eine Stunde unter die Dusche gestellt und am ganzen Körper mit der Nagelbürste geschrubbt. So groß war die Angst, wir hätten womöglich Kontakt zu Radioaktivität gehabt. Auch diese Aufregung verstanden wir Kinder nicht. Doch Radioaktivität, Atomkraft und Tschernobyl gehörten auf einmal zu unserem Wortschatz. Genau wie das Wissen: Radioaktivität sieht, hört und schmeckt man nicht – aber gefährlich ist sie wohl trotzdem.