Herten.

Was Pflege bedeutet, davon hatte Brigitte Richter zunächst „keine Ahnung“. Seit ihr Mann vor fünf Jahren einen Schlaganfall erlitt, ist sie für die Pflege daheim zuständig. „Klar, morgens kommt der Pflegedienst und viermal pro Woche ein Physiotherapeut“, sagt Richter. „Aber den Rest des Tages bin ich im Einsatz.“

Eine Arbeit, die die Westerholterin für ihren Mann zwar gerne auf sich genommen hat, die sie aber gleichermaßen angestrengt und bis zu einem gewissen Grad auch deprimiert hat. „Direkt nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war mein Mann sehr schlecht zurecht. Es ging praktisch gar nichts mehr.“

Sich über ihre Sorgen und Ängste aussprechen konnte Brigitte Richter auch nicht. „Klar, habe ich Freunde, und Bekannte“, sagt sie. „Aber viele Menschen sind mit dem Thema einfach überfordert. Ich habe sogar erlebt, dass manche die Straßenseite gewechselt haben, sobald sie mich kommen sahen.“

Vor gut einem Jahr besuchte sie dann „auf gut Glück“ das Pflegecafé des Gertrudis-Hos­pitals. Dort traf sie auf Leute, die sich ebenfalls um pflegebedürftige Angehörige daheim kümmerten. „Das ist wirklich toll. Man trifft Menschen, die das Gleiche durchmachen, wie man selbst, die einem zur Seite stehen und Tipps geben. Das gibt mir selbst Kraft.“

Das Pflegecafé ist allerdings nur ein Baustein im Modellprojekt „Familiale Pflege“ des Westerholter Spitals, wie Regina Kaiser, Krankenschwester für Pflegeüberleitung, erläutert. „Es gibt viele Menschen, die auch nach ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung zu Hause pflegebedürftig sind“, so Kaiser. „Einen Großteil dieser Pflege übernehmen Angehörige, die allerdings in keiner Weise dafür ausgebildet sind.“ Brigitte Richter stimmt zu: „Man weiß gar nicht, was man alles braucht, worauf man einen Anspruch hat und wie man zum Beispiel einen Wannenlift benutzt.“

Deshalb bietet das Gertrudis-Hospital seit rund zwei Jahren Pflegekurse an, in denen sich die Kursteilnehmer mit Handgriffen und den Hilfsmitteln, aber auch mit der Pflegeversicherung und der neuen Organisation des Haushaltes auseinandersetzen. Darüber hinaus gibt es ein sogenanntes Pflegetraining, bei dem Fachkräfte aus dem Krankenhaus, die Patienten und ihre Angehörigen vor Ort daheim unterrichten. Neuester Baustein ist die Schulung für Angehörige von Menschen mit Demenz. Rund 20 Mitarbeiter stellt das Krankenhaus für diese Kurse zur Verfügung. Neben dem sozialen Dienst stehen pro Station ein bis zwei Mitarbeiter mit Rat und Tat parat.

Das Projekt „Familiale Pflege“ wurde 2004 von der Universität Bielefeld und dem Gesundheitsministerium ins Leben gerufen. „Dieses Modell hat auch wirtschaftliche Vorteile zum Beispiel für die Krankenkassen“, erläutert Irmi Heitfeld, Diplom-Pädagogin der Uni. „Dadurch können etwa stationäre Behandlungen reduziert werden.“ Etwa 200 Krankenhäuser nehmen mittlerweile an diesem Projekt teil, das Gertrudis-Hospital sticht heraus: Von der betreuenden Universität wurde das Krankenhaus jetzt als „Best Practise“-Beispiel hervorgehoben und ausgezeichnet.

Rund 350 Angehörige von Patienten haben bereits an den Kursen und Treffen des Hospitals teilgenommen, die meisten sind vollauf zufrieden. Wie Brigitte Richter, die nicht nur für sich Vorteile sieht. „Auch meinem Mann geht es mittlerweile viel besser. Und das lag nur an einer einzigen Tablette. Und woher hatte ich den Tipp? Aus dem Pflegecafé.“