Herten. .
Friedrich Vaut und Maximilian Raffetzeder erinnern sich noch gut an die Zeit, als sie mit dem „Bus der Solidarität“ durch Berlin kurvten.
„RE-AP 190“: Das war das Kennzeichen des „Busses der Solidarität“. Und Friedrich Vaut (78) war einer seiner Fahrer. Drei Monate lang kurvte er im Jahre 1962 mit dem Gefährt der „Vestischen Straßenbahnen“ durch Berlin. Aus Solidarität . . .
Es ist ein Stück Verkehrsgeschichte, die ein Aufruf in der jüngsten Mitarbeiterzeitschrift der „Vestischen“ zu Tage förderte. Die Veröffentlichung von Fotos eines ÖPNV-Freundes, die einen Bus des „Vestischen“ um die Zeit des Mauerbaus in Berlin zeigten, verband das Magazin mit der Frage: Wer weiß noch etwas über diese Zeit?
Friedrich Vaut kennt die Geschichte(n) hinter den Aufnahmen. Er und sein Kumpel Maximilian Raffetzeder (78), der 1962 in Berlin ebenfalls für die „Vestische“ Bus fuhr, erzählen sie an diesem Morgen am Sitz des Unternehmens an der Westerholter Straße. Kurz nach dem Beginn des Mauerbaus im August 1961 seien die Berliner Verkehrsbetriebe in eine schwierige Lage geraten: Die von der ostdeutschen Reichsbahn betriebenen S-Bahnlinien, die durch West-Berlin fuhren, wurden boykottiert. „Keiner“, sagt Vaut, „wollte mit Westgeld den Mauerbau mitfinanzieren.“ Die Folge waren bis zu 400.000 Fahrgäste täglich zusätzlich für die Berliner Verkehrsbetriebe – mit den vorhandenen Bussen war das nicht zu leisten. Auf Initiative der ÖTV wurden deshalb „Solidaritätsbusse“ nach West-Berlin entsandt. Und Personal.
Vom Kuhdamm bis Berlin Tempelhof im Reisebus der Vestischen
Vaut erinnert sich: Wie er und sein Freund damals nach West-Berlin „eingeflogen“ wurden. Wie er mit dem Bus der „Vestischen“ - eigentlich ein Reisebus - in Berlin täglich die bis zu 50 Kilometer langen Routen über zum Teil holpriges Kopfsteinpflaster runterratterte. Von Roseneck über den Kuhdamm bis Berlin-Tempelhof. Vom Bahnhof Sonnenallee bis nach Siemensstadt. Vom Bahnhof Zoo über die „Avus“ bis zum Wannsee.
„Ein einziges Mal nur konnten wir die Strecken abfahren, am nächsten Tag begann schon unser Dienst“, sagt Raffetzeder, der in Berlin einen Doppeldecker fuhr. Von montags bis samstags, 20 D-Mark pro Tag gab’s dafür zusätzlich zum Lohn von der Gewerkschaft. Kostenfrei untergebracht waren Vaut und Raffetzeder im Hotel Schmoll, „Konstanzer Straße 60“, erinnert sich letzterer.
Mittags aßen sie meist in einer Gaststätte nahe des damals gerade neu erbauten Busbahnhofes Cicero. „Einmal“, erzählt Vaut, „hat mich der Wirt, ein Herr Pantzke, gefragt, ob ich ein paar Lebensmittel rüberbringen könne zu seinen Verwandten in Ost-Berlin?“ Er sagte zu – und wurde am Grenzübergang Friedrichstraße von VoPos gestoppt: „Sie sind in der DDR unerwünscht.“ So als Solidaritäts-Busfahrer für West-Berlin.
Wo die Mauer Familien entzweite
Friedrich Vaut und Maximilian Raffetzeder könnten noch viele Geschichten erzählen rund um ihren Berlin-Einsatz von April bis Juni 1962. Bedrückende – wie ihre Beobachtungen an der Bernauer Straße, wo die Mauer mir nichts, dir nichts ganze Familien entzweit hatte. Begeisternde – wie das Finale um die Deutsche Fußballmeisterschaft zwischen Köln und Nürnberg, das sie inmitten von 100.000 Zuschauern live miterlebten. Und Bewegende, wie ihre Begegnungen mit Brandt. 1963 ehrte der damalige Regierende Bürgermeister alle Solidaritätsbusfahrer auf der Kundgebung zum 1. Mai, als einer der wenigen erhielt Vaut neben einer Ehrenurkunde auch ein Berlin-Buch, mit Brandts Unterschrift.
Fast wären er und Raffetzeder damals indes zu spät zu der Feierstunde gekommen. Statt des Fliegers wie im Vorjahr nahmen sie nämlich diesmal den Bus – und hingen prompt zwei Stunden am Grenzübergang Helmstedt fest . . .
Zwei Jahre später, beim erneuten Aufeinandertreffen mit dem SPD-Politiker, waren sie pünktlicher: 1965, am alten Hertener Busbahnhof, überreichte Willy Brandt ihnen eine Medaille. Die Inschrift: „Berlin hat gute Freunde.“