Vest/Oer-Erkenschwick. .
Kämpferisch gibt sich die Gewerkschaft, will wieder mitreden in den Betrieben.
„Wir müssen das Ruder herumreißen“, forderte Andrea Becker bei den verdi-Konferenzen im Salvador-Allende-Haus in Oer-Erkenschwick. Der verdi-Bezirk Emscher-Lippe-Nord hat Samstag für neun Branchenbereiche die Weichen für die kommenden vier Jahre gestellt, inhaltlich und personell.
„Das normale Arbeitsverhältnis stirbt aus“, konstatierte Geschäftsführerin Becker vor rund 160 Gewerkschaftsmitgliedern. „Sozialversicherungspflichtige und unbefristete Vollzeitbeschäftigung finden wir immer weniger, jeder zweite hat heute nur noch einen befristeten Vertrag.“ Jeder Fünfte schufte zudem im Niedriglohnbereich. Mini- und Midijobs, Leiharbeit und 1-Euro-Jobs verdrängen laut Becker die normalen Arbeitsverhältnisse, „diese prekäre Entwicklung beobachten wir in vielen Branchen“. Im Öffentlichen Dienst scheine die Welt noch in Ordnung zu sein. „Scheine“, betonte Becker, denn: „Erinnern wir uns an den Grullbad-Skandal, Versuche gibt es also dort auch schon, das macht vor keiner Tür halt.“
Die Gewerkschaft müsse mit Personal- und Betriebsräten dafür sorgen, dass dies nicht voranschreitet, und dass sich vor allem die politischen Rahmenbedingungen wieder ändern: Leiharbeitsgesetz und Hartz-IV-Regelungen hätten diese Verschlechterungen erst möglich gemacht. „Wir brauchen eine Trendwende und fordern gute Arbeit“, rief Becker den Gewerkschaftern zu. Tagtäglich erlebe sie Beschäftigte im Büro, die respektlos behandelt würden, etwa wenn ein Chef die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einer Mitarbeiterin vor deren Augen zerreiße und drohe, sie rauszuschmeißen, wenn sie nicht sofort an ihren Arbeitsplatz zurückkehre. „Das ist ebensowenig in Ordnung, wie wenn Menschen fünf Stunden umsonst arbeiten sollen – wir Arbeitnehmer haben auch Rechte!“ so die Gewerkschafterin
„Die Politik hat selbst erkannt, dass wenn Arbeitnehmer mit einem Job nicht mehr auskommen, letztlich der Staat sie mitfinanzieren muss und auch die ach so wichtige Kaufkraft sinkt.“ Becker glaubt aber, dass die Gewerkschaften etwas erreichen, etwas ändern können. Mit den Landtags- und Bundestagsabgeordneten stehe man in Kontakt, auf Bundesebene spreche man mit der Kanzlerin. Dort gebe es mittlerweile die Erkenntnis, dass die Entwicklung der letzten Jahre falsch sei. „Wir treten an für eine politische Veränderung – im Betrieb fängt es an, dann kommt die Politik.“
Georg Wissmeier von der „OrKa“, der Gruppe „Organizing- und Kampagnenarbeit“ des DGB-Bildungswerks und des verdi-Instituts für Bildung, Medien und Kunst, zeigte auf, wie man wieder betriebliche Stärke erreichen könne. Dabei gehe es weniger um gute Werbung für die Gewerkschaft, sondern „das geschieht am ehesten über gute Arbeit in den Unternehmen, nicht übers Zettelchenverteilen“.