Haltern am See. .

Klappernde Schreibmaschinen gehörten jahrzehntelang in jedes Büro. Computer waren höchstens Zukunftsmusik. Wolfgang Bergmann ist bis heute Olivetti-Experte und sogar der „Hoflieferant“ des Nobelpreisträgers Günter Grass.

In Wolfgang Bergmanns (66) Arbeitszimmer stehen an die 70 Schreibmaschinen, dazwischen Werbeartikel von Olivetti: Aschenbecher, Stiftboxen, Kalender. Werbeplakate versprechen den Siegeszug der Olivetti, aber dass die Schreibmaschine eine Zukunft hatte, ist Jahrzehnte her. Man sieht es Bergmanns Geräten auch ein wenig an: In den mannshohen Regalen fallen Schmuckstücke wie die vollkommen schwarze „Olivetti M40 Kr“ – Kr steht für Vereinfachte Kriegsausführung – auf, die in den 30ern gebaut wurde. Daneben die erste Olivetti-Schreibmaschine, die M 1, die 1911 auf den Markt kam. Und die Lettera 22, die Schreibmaschine der Schriftsteller - robust, handlich. Das Berufsleben des Wolfgang Bergmann, aufgereiht in mechanischen Schreibmaschinen.

Wolfgang Bergmann mit einer Olivetti Lettera 22 und Bildern von seinem Besuch bei Grass.
Wolfgang Bergmann mit einer Olivetti Lettera 22 und Bildern von seinem Besuch bei Grass. © WAZ FotoPool

1964 begann Bergmann bei dem italienischen Konzern Olivetti, machte sich 1984 in Haltern selbständig. Heute ist er ein Übriggebliebener, aber nicht irgendeiner. Bei ihm haben Konzerne wie Krupp und Schriftsteller wie Günter Grass Maschinen und Farbbänder gekauft. Er hat sie beraten, ist auf ihre Wünsche eingegangen. „Die Sekretärinnen bei Krupp wollten nicht auf grauen Schreibmaschinen tippen.“ Also wurden die Gehäuse in Rot umgespritzt.

Nobelpreisträger schwört auf klappernde Tasten

Günter Grass verweigerte sich der modernen Technik und lehnte die elektrische Schreibmaschine ab, die Bergmann ihm 1994 im Auftrag von Olivetti lieferte. Er vermisse seine Lettera 22, ihr Klappern, die fühlbar direkte Beziehung zwischen dem Fingerdruck und dem geschriebenen Buchstaben, verriet er damals dem Halterner am Telefon. Überhaupt, die neue Technik sei ein Nachteil. „Sie verführt zum Lügen. Mit einer mechanischen Schreibmaschine geht das nicht. Da schreibt man den neuen Gedanken hinter den alten“, habe Grass gesagt. Und Bergmann erzählt, dass der Nobelpreisträger sich drei weitere Lettera 22 zulegte („Keine in Rot“) - aus Sorge, sie könnten aus dem Handel verschwinden.

Farbenfroh: Die Schreibmaschinen in Bergmanns Büro.
Farbenfroh: Die Schreibmaschinen in Bergmanns Büro. © WAZ FotoPool

Nun ist es nicht so, dass Grass seine Romane ohne Wolfgang Bergmann nicht geschrieben hätte. Aber wie sehr der Nobelpreisträger von seinem Schreibwerkzeug abhängig war und ist, dokumentiert ein Zettel, der mit einem Foto des Schriftstellers, fein säuberlich eingerahmt, in Bergmanns Büro hängt: „Für Herrn Bergmann. Die Hundejahre, ein Roman, der zu Beginn der Sechziger Jahre mit einer Olivetti geschrieben wurde. Nun darf es dank Ihrer Hilfe mit einer neuen Olivetti Seite nach Seite weiter gehen. Günter Grass. Behlendorf, 7.6.1994.“

Dieser Kontakt, der in der gemeinsamen Begeisterung für die italienische Schreibmaschine gründet, lebt immer wieder auf. Erst im Januar hat Bergmann den Schriftsteller in Lübeck besucht und ihm sechs Farbbänder für seine Lettera 22 mitgebracht. „Von der Sekretärin wusste ich, dass Grass Sorge hat, keine Farbbänder mehr zu bekommen“, lacht der Halterner. Vor lauter Dankbarkeit habe ihn der 82-Jährige spontan umarmt.

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In seinem Büro hat Bergmann zwischenzeitlich das cremefarbene Kunststoffgehäuse einer Olivetti Roma ausgepackt. Die hat er bei ebay ersteigert – für 14 Euro. Das ist jedes Mal ein Erfolgserlebnis. Bergmann, der Übriggebliebene, will die Geschichten rund um die Olivetti-Schreibmaschinen sammeln. „Warum?“, hat ihn Günter Grass im Januar gefragt. „Weil dieses Wissen verloren geht“, hat er geantwortet. Ob er denn schon einen Verleger habe. Nein, habe er nicht. Dann schicke er ihm seinen vorbei.

In dem Buch werden Geschichten wie die um die Olivetti Editor 4 stehen, auf der Urkunden fürs Bundesverdienstkreuz geschrieben wurden. Vielleicht auch die um Mafiaboss Bernardo Provenzano, der mit seiner Schreibmaschine untertauchte und darauf Mordaufträge tippte. Oder die Geschichte jenes Gedichtes, dass Grass seiner Olivetti widmete und in Bergmanns Büro hängt: „Meine alte Olivetti ist Zeuge, wie fleißig ich lüge und von Fassung zu Fassung der Wahrheit um einen Tippfehler näher bin.“