Gründung des Landesverbandes der Bürgerbewegung Pax Europa hat in Recklinghausen für Aufregung gesorgt

Vest. Am Anfang steht immer das Fragen. Warum entsteht eine Bürgerbewegung wie Pax Europa? Und warum jetzt? Wen spricht sie an? Und mit welchem Ziel?

Kernfrage Islamisierung

Vest. Die Wähler-Initiative Recklinghausen (WIR) hat das Thema „Islamisierung” zu einer ihrer kommunalpolitischen Kernfragen gemacht. Die Ratsmitglieder Claudia Ludwig und Georg Schliehe warnen, fundamentalistische Gruppen und Tendenzen bestimmten das Leben vieler türkisch-stämmiger Mitbürger und behinderten dadurch die Integration dieser Migranten.

Die Gründung eines Landesverbandes der Bürgerbewegung „Pax Europa” hat das Klima in der von CDU, WIR und FDP gebildeten Mehrheitsallianz im Recklinghäuser Rat belastet. Claudia Ludwig wurde zur Landesvorsitzenden gewählt, ihre Stellvertreterin ist die Ratsfrau Jutta Becker aus Herten, Georg Schliehe gehört ebenfalls dem Landesvorstand an.

Die FDP kündigte das Bündnis mit WIR auf: Mit einer derart rechtspopulistischen Organisation wolle man nicht kooperieren.

Im Wahlkampf setzt WIR gleichwohl auf die Frage des Islams in Stadt und Gesellschaft. Dies ist Anlass für die WAZ, die Situation genauer unter die Lupe zu nehmen.

Vorab. Pax Europa ist eine Bürgerbewegung, die sich unabhängig von parteipolitischen Interessensgruppen und Verbänden sieht und sich selbst als „Menschenrechtsorganisation für Freiheit und Demokratie gegen Islamisierung” bezeichnet. Damit ist Pax Europa sozusagen ein Kind des Zeitgeistes. Laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (ifd) verbinden 91 Prozent der Deutschen mit dem Islam die Benachteiligung von Frauen, 83 Prozent meinen, der Islam sei von Fanatismus geprägt und 71 Prozent halten ihn für intolerant. Pax Europa greift also zunächst einmal eine emotionale Befindlichkeit unserer Gesellschaft auf.

Die Religion spielt ins alltägliche Leben hinein

Muslime haben eine religiöse Identität, die weit stärker ausgeprägt ist, als das auch bei sehr gläubigen Christen heute der Fall ist. Die Religion spielt ins alltägliche Leben hinein. So ist der Islam dank 3,5 Millionen hier lebender Muslime längst sichtbarer Aspekt unserer Realität und bleibt doch fremd, anders.

Fast akribisch hat die Bürgerbewegung Fakten gesammelt, hat Koranverse zusammengetragen und deren Verträglichkeit mit dem Grundgesetz untersucht, hat das Verhältnis von Scharia (Islamisches Recht) und den Menschenrechten unter die Lupe genommen und scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass der Islam in seinen Wurzeln gefährlich ist. Von den „Gefahren einer europaweiten Islamisierung” ist die Rede, „welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellt und bedroht.”

Dass weder Scharia noch Koran ein statisches System sind, dass hunderte Jahre Koranexegese nicht gereicht haben, die Muslime zu einem einheitlichen Verständnis des sprachlich und literarisch hochkomplexen Korans zu bringen: All das findet in den wissenschaftlich anmutenden Analysen von Pax Europa keinen Platz. Genauso wenig wie die Tatsache, dass es unzählige Muslime überall auf der Welt gibt, die ihren Glauben praktizieren, ohne mit den Spielregeln der Demokratie in Konflikt zu geraten, die ihre Frauen lieben und respektieren und sich für ihre Töchter eine glückliche und erfolgreiche Zukunft wünschen.

Ebenso blendet die Bürgerbewegung völlig aus, dass weniger religiöse als soziologische Gegebenheiten dafür verantwortlich sind, dass Integration hier zu Lande immer wieder in einer Sackgasse endet. Mangelnde Zukunftsperspektiven und gesellschaftliche Ablehnung, gepaart mit einem chauvinistischen Weltbild, das eher auf verstaubten Traditionen als auf der Religionszugehörigkeit beruht, bestimmen das Handeln derjenigen, die gerne als Problemkinder der Nation gehandelt werden.

So erreicht Pax Europa vor allem diejenigen, die sich bis dato zwar bedroht fühlten, dieses diffuse Gefühl allerdings auf keine vernünftige Basis stellen konnten. All jene haben nun Infobroschüren zur Hand, die die eigene Meinung zu stützen scheinen. Frei nach dem Motto: „Ich habe es ja immer schon gesagt, die Moslems sind gefährlich”, wissen Hinz und Kunz nun endlich, warum ihnen die Türken von nebenan so seltsam vorkommen. Dass die Informationen, auf die sie sich berufen, einseitig und subjektiv sind, merkt nur, wer sich eingehender mit dem Islam auseinander setzt.

Bleibt die Frage nach den Zielen. „Keine Scharia-Elemente in der deutschen Gesetzgebung” steht da zum Beispiel geschrieben. Natürlich nicht. Aber ebenso gut könnte ich gegen eine mögliche Sturmflut in Oberbayern wettern. Ähnlich wahrscheinlich sind die Szenarien. Des Weiteren fordert die Bewegung den „uneingeschränkten Integrationswillen von Einwanderern”, außerdem eine „deutliche Verschärfung der Voraussetzungen für die Einbürgerung”, eine „Rückführung von ausländischen Langzeitarbeitslosen”, „keinen EU-Beitritt des asiatisch-islamischen Großstaates Türkei”, um nur einige der Stichpunkte zu nennen. Nichts davon ist wirklich neu und vor allem bietet nichts davon wirklich sinnvolle Lösungsansätze.

Nachfragen, hinterfragen und vor allem zuhören

Katharina Müller

Die Autorin ist Studentin der Islamwissenschaft und Arabistik. Die 24-jährige WAZ-Mitarbeiterin lebte u.a. längere Zeit in der Türkei.

Warum also nicht endlich die alten Parolen in die Schublade packen und eine kritische Debatte auf Augenhöhe führen? Ohne mit falsch verstandener Toleranz Missstände als kulturelle oder religiöse Eigenheiten zu entschuldigen. Ohne die Realität um des lieben Friedens Willen schön zu färben. Aber auch ohne in Stein gemeißelte Pauschalurteile, gefährliches Halbwissen und überkochende Emotionen. Nachfragen, hinterfragen und vor allem zuhören. Wie schon Galileo Galilei vor knapp fünfhundert Jahren so umsichtig erklärte: „Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will.”

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