Recklinghausen. Wegen einer tödlichen Messerattacke auf einen Mitschüler muss sich seit Dienstag ein 18-Jähriger vor dem Landgericht in Recklinghausen verantworten. Weder er noch einer seiner Anwälte nutzten die Gelegenheit für Worte der Reue. Stattdessen sprach der Täter von Notwehr.
Der Angeklagte war einer der ersten, der Dienstagvormittag im Recklinghäuser Amtsgerichts aufgetaucht ist. Blonde Haare, langer Seitenscheitel, schwarzer Pulli – der angehende Gestaltungstechniker aus Recklinghausen sieht aus wie ein Popstar. Seit vier Monaten hält er sich in einer Jugendwohngruppe auf, bekommt sogar 95 Euro Taschengeld, was selbst Richter Gerald Sacher irritierte. „Die sind sehr großzügig mit dem Geld dort“, sagte der Strafkammervorsitzende zu Beginn des Prozesses. Ob der Staat diese Kosten erstatten müsse, werde noch geprüft.
Unabhängiger Zeuge bestätigt Anklage
Die Staatsanwaltschaft hat den 18-jährigen Angeklagten wegen Totschlags angeklagt. Dabei stützt sie sich unter anderem auf die Aussage eines 19-jährigen Gymnasiasten aus dem niederrheinischen Korschenbroich, der gestern ebenfalls schon in den Zeugenstand getreten ist.
Der Gymnasiast war damals auch auf Klassenfahrt, lief abends mit Freunden über die Strandpromenade von Calella. „Ich sah zwei Gruppen, die fauchten sich an“, sagte er den Recklinghäusser Richtern. „Es lag Ärger in der Luft.“ Irgendwann seien der Angeklagte und das spätere Opfer dann aufeinander zugesprungen. Andere Schüler hätten noch geschrieen: „Pass auf, der hat ein Messer.“ Doch da sei es schon zu spät gewesen. Der erste Stich habe das Bein getroffen, der zweite ging in den Hals. „Das sah schon gezielt aus“, sagte der Zeuge im Prozess.
Dass der Angeklagte nicht in Untersuchungshaft sitzt, ist für die Familie von Luca B. nicht zu verstehen. „Die Täter werden geschützt, für die Opfer gibt es nichts“, sagt eine Tante auf dem Gerichtsflur. Keine Psychologen, keine Hilfe bei der Überführung des Leichnams, keine Zuschüsse zur Beerdigung. „Die Familie musste sich um alles selber kümmern, und der Angeklagte macht einfach seine Schule weiter.“ Er chatte sogar im Internet, gehe in die Disko.
Keine Worte der Reue oder Entschuldigung
Inwieweit diese Angaben richtig sind, kann noch nicht gesagt werden. Die Chance, die Familie des Opfers vielleicht etwas milder zu stimmen, hat der Angeklagte allerdings verpasst. Weder er noch einer seiner drei(!) Anwälte nutzte die Gelegenheit für Worte der Reue und der Entschuldigung. Stattdessen sprach er von einer Art Notwehr.
Die schreckliche Geschichte begann Anfang Oktober 2009. 75 Schüler und vier Lehrer des Max-Born-Berufskollegs machten sich von Recklinghausen aus auf den Weg an die Costa Brava, die Busreise dauerte 18 Stunden. Sie wollten die Bauwerke von Antoni Gaudi besichtigen – die Sagrada Familia, Häuser, einen Park. Doch es ging auch um Freizeit und Spaß.
"Er hat mich beleidigt und beschimpft"
Am Abend des Tattages setzten sich der Angeklagte und ein paar Freunde ab. Sie zogen durch die Stadt, tranken Cocktails, kauften Butterflymesser. „Eigentlich wollten wir T-Shirts“, erklärte der 18-Jährige. „Schwarze mit goldener Schrift – I love Barcelona.“ Doch der Verkäufer habe sie zu den Messern gezogen. Drei wurden gekauft, zu 35 Euro.
Auf Luca B. treffen sie auf der Strandpromenade. „Er hat mich beleidigt und beschimpft“, sagte der Angeklagte im Prozess. „Komm her du H...sohn – wenn du dich traust.“ Irgendwann sei er dann so bedrängt worden, dass er das Messer gezogen habe. Danach ging dann angeblich alles ganz schnell. „Ich habe nur die Hände hochgerissen...“ Die Klinge traf die Halsschlagader, Luca B. verstarb vier Tage später in einem spanischen Krankenhaus.
Die Eltern des Getöteten verfolgen den Prozess als Nebenkläger, weinen bittere Tränen. „Sie stehen immer noch unter Schock“, sagte ihr Anwalt Hans Reinhardt (Marl) am Rande des Verfahrens. Und: „Ihnen ist klar, dass ihnen das Verfahren keine Erlösung bringen kann.“